Durch diese Erzählung wird die Geschichte der Erzeltern fortgesetzt: Ruth wird mit den beiden das Haus Israel bauenden Ahnfrauen Rahel und Lea

Transkript

1 RUTH Ruth ist eine Frau in deren Leben die Härte des Lebens schwer zugeschlagen hat. Sie muss einiges ertragen. Als sie nach Bethlehem zieht, ändert sich ihr Leben, zwar langsam und Schritt für Schritt, aber hin zu Guten. Eine mit Bethlehem verbundene Geschichte der Hoffnung. Dabei spielt die Geschichte von Ruth auf verschiedene Momente im Selbstverständnis das alten Israel an. Eine verwitwete Fremde, Ausländerin, Moabiterin verlässt ihr Volk, ihr Land und ihre Gottheit, um sich nicht von ihrer Schwiegermutter trennen zu müssen, die selbst ihr Hungerflüchtlingsdasein beenden und von Moab nach Juda zurückkehren möchte. In der Zeit in der die Geschichte von Ruth spielt, gab es eine deutliche Tendenz in Israel sich allem Fremden gegenüber sehr distanziert und abweisend zu geben. Es ist die Zeit in der in der Gesetzgebung großer Wert darauf gelegt wird, dass das Fremde sich nicht mit dem Volk vermischen soll. In einer Zeit wie heute, da nicht nur unendliche Flüchtlingsboote aus Nordafrika an den Küsten der Schengen-Staaten landen, sondern innerhalb unserer europäischen Grenzen überlegt wird, wie man diese Flüchtlinge auch ganz rasch und ganz sicher wieder los werden kann, bekommt diese Ruth-Erzählung eine eigene Brisanz. Und die Flüchtlinge in Lampedusa sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der weltweiten Flüchtlingsbewegung. Dass ihre Schwiegermutter selbst Hunger- Flüchtling war und diese problematische Lage beenden will wirft noch einmal ein besonderes Licht auf die Situation und erinnert Israel daran, dass eben auf dem Hintergrund der eigenen oft in der Geschichte erlebten schicksalhaften Hungersnöte das Fremdsein ein das Wesen bestimmendes Moment in der Identität Israels sein muss. Schon das älteste schriftliche Zeugnis Israel spricht davon, dass mein Vater ein herumziehender Aramäer war. Der Exodus aus Ägypten unter Mose wird da dann zu dem Identität beschreibenden Moment schlechthin. So entwickelt Israel auch eine Rechtsprechung in der das Recht des Fremdlings im Volk einen eigenen Schutz erfährt. 12

2 Durch diese Erzählung wird die Geschichte der Erzeltern fortgesetzt: Ruth wird mit den beiden das Haus Israel bauenden Ahnfrauen Rahel und Lea verglichen, führt in der Tradition Tamars das Haus Juda fort und wird die Urgroßmutter König Davids. 13

3 Die Geschichte von Ruth In Bethlehem im Land Israel lebte einmal eine Frau. Sie hieß Noomi, war verheiratet und hatte zwei Söhne. Doch es zog eine Hungersnot übers Land. Die Familie verließ ihre Heimat und machte sich auf den Weg ins benachbarte Land Moab. Dort gab es genug zu essen für alle. Noomis Söhne wuchsen heran und heirateten zwei Moabiterinnen: Orpa und Ruth Die Jahre vergingen, und Noomi traf ein schweres Schicksal. Denn nicht nur ihr Mann, sondern auch ihre beiden Söhne starben. Nun war sie ganz allein mit ihren Schwiegertöchtern Orpa und Ruth Eines Tages kamen Wanderer des Weges und erzählten, die Hungersnot in Israel sei vorbei, und es gäbe reichlich zu essen für alle. Da beschloss Noomi, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, und sagte zu ihren Schwiegertöchtern: "Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Geht zu euren Familien, denn in Israel seid ihr Fremde und fühlt euch bestimmt nicht wohl." Orpa und Ruth weinten, denn sie hatten ihre Schwiegermutter sehr lieb. Doch so schwer es Noomi auch fiel, sich von den beiden zu trennen sie versuchte noch einmal, sie zum Bleiben zu bewegen: "In Moab werdet ihr bestimmt wieder einen Mann finden. Bleibt also, es ist besser für euch!" Orpa und Ruth wollten sich gar nicht mehr beruhigen. Doch nach einiger Zeit hatte Orpa sich überzeugen lassen. Traurig nahm sie Abschied und machte sich auf den Weg zu ihrer Familie. Ruth aber blieb bei Noomi stehen und sagte: "Ich verlasse dich nicht! Wo du hingehst, dort gehe ich auch hin. Und wo du bleibst, dort bleibe ich auch. Wo dein Gott ist, da ist auch mein Gott." 14

4 So zogen Noomi und Ruth nach Bethlehem ins Land Israel. Dort war Erntezeit, und Ruth sagte: "Ich will Ähren für uns sammeln, damit wir zu essen haben." Sie ging zu den Feldern und kroch hinter den Arbeitern her, die das Getreide schnitten und es bündelten. Ruth hob auf, was liegen blieb, und brachte es am Abend nach Hause. Eines Tages kam Boas, der Besitzer der Felder, zu seinen Arbeitern. Er fragte sie, wer die fremde junge Frau sei. Die Arbeiter antworteten: "Sie ist eine Moabiterin, die Schwiegertochter von Noomi, die aus Bethlehem stammt und lange Jahre mit ihrer Familie in Moab gelebt hat. Nur Ruth ist ihr geblieben. Niemand sorgt für die beiden. Deshalb haben wir der jungen Frau erlaubt, die liegen gebliebenen Ähren einzusammeln. Sie ist sehr fleißig und arbeitet von früh morgens bis zum Abend." Da sagte Boas zu Ruth: "Du darfst getrost weiter auf meinen Feldern sammeln." Ruth bedankte sich bei Boas: "Du bist so gut, obwohl ich fremd in deinem Land bin." Boas antwortete: "Meine Arbeiter haben mir erzählt, wie gut du für deine Schwiegermutter Noomi sorgst. Gott wird dich dafür belohnen." Als es Mittag wurde, lud Boas Ruth zum Essen ein. Und zu seinen Arbeitern sagte er: "Lasst absichtlich aus euren Bündeln Ähren fallen, damit Ruth genug zum Sammeln findet." Am Abend brachte sie einen ganzen Sack Körner nach Hause. Noomi wunderte sich: "Bei wem hast du gearbeitet? Woher hast du die vielen Körner?" Als Noomi hörte, dass Ruth bei Boas gearbeitet hatte, sagte sie: "Ich kenne ihn. Er ist ein guter Mensch. Gott segne ihn!" Als die Erntezeit vorüber war, nahm Boas Ruth zur Frau. Und bald kam ihr erstes Kind zur Welt. Alle Nachbarn und Verwandte freuten sich mit 15

5 Boas, Ruth und Noomi. Noomi aber war überglücklich. Denn sie liebte ihre Schwiegertochter Ruth von ganzem Herzen. (Nacherzählt aus dem Buch Ruth im Alten Testament) 16