Dankeschön-Empfang für die Flüchtlingshelfer / / Stadtwaldhaus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
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- Björn Roth
- vor 6 Jahren
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1 Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, die Flüchtlingskrise, die wir zurzeit erleben, hat historische Ausmaße angenommen. Das lässt sich schon an den reinen Zahlen ablesen, die uns immer wieder aufs Neue beunruhigen und erschrecken. Weltweit sind laut UNO-Flüchtlingshilfe aktuell mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht die höchste Zahl, die je verzeichnet wurde. Über 1,1 Millionen Flüchtlinge sind im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen. Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegen derzeit noch unbearbeitete Asylanträge. Doch noch erschütternder als diese Zahlen sind die Bilder, die sich längst in unser aller Gedächtnis eingegraben haben. Da ist das Foto eines dreijährigen Jungen im roten T-Shirt, der tot an Seite 1 von 10
2 einen Strand in der Nähe von Bodrum gespült wurde, also dort, wo wir Westeuropäer sonst gerne Urlaub machen. Da sind die Bilder eines Kühllastwagens auf der österreichischen Autobahn, in dem die Polizei 70 tote Flüchtlinge gefunden hat, Männer, Frauen und Kinder, qualvoll erstickt. Ich denke auch an die Aufnahmen aus dem zerstörten Aleppo, aus einer Stadt zwischen Bombenhagel, Kriegsgewalt und Hungersnot. Abgesehen von den Fakten und den Bildern sind da noch die Diskussionen, die wir tagtäglich erleben, sei es im Fernsehen, in den sozialen Medien oder am Gartenzaun. Diese Diskussionen driften manchmal ab: Wir erleben inzwischen viel Misstrauen und Hass Hass, der ausgerechnet diejenigen trifft, die ohnehin Schlimmes durchgemacht haben. Aber teilweise drehen sich die Diskussionen auch um völlig berechtigte Fragen: Wie viele Menschen Seite 2 von 10
3 können wir aufnehmen, bevor unser eigenes System ins Wanken gerät? Wie viel Hilfe ist leistbar oder auch nur menschenmöglich? Die Fakten, die Bilder und die Diskussionen all das bestimmt unsere Wahrnehmung dieser historischen Krise. Doch Sie, meine Damen und Herren, können noch eine weitere Perspektive einbringen: Sie erleben die Flüchtlingskrise als Alltag, als tägliche Erfahrung. Viele von ihnen müssen keine Tagesschau gucken und keine Zeitung lesen, um zu verstehen, was aktuell in Europa passiert. Viele von ihnen haben Bilder und Fakten vor Augen, die ganz unmittelbar mit der Krise zu tun haben und darüber hinaus ganz unmittelbar mit Krefeld. Denn Sie sind diejenigen, die seit vielen, vielen Monaten die Krise in ihren direkten Auswirkungen erleben und zu bewältigen helfen. Sie sind es, die Seite 3 von 10
4 dafür sorgen, dass Woche für Woche bis zu 100 Flüchtlinge hier in Krefeld ein Obdach finden. Sie sind es, die sich darum kümmern, dass diese Menschen Nahrung und das Nötigste zum Leben erhalten. Sie sind es, die dazu beitragen, dass diese Menschen über das bloße Überleben hinaus denken dürfen, hin zu Fragen wie: Wie lerne ich die Sprache? Wie finde ich Arbeit? Wie kann ich hier eine Zukunft für mich und meine Familie bauen? Für diese Menschen sind Sie das erste Stück Krefeld, das erste Gesicht, in das sie blicken, der erste Eindruck einer neuen Heimat nach wochenund monatelanger Flucht. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie schwierig es sein muss, dieser Aufgabe immer wieder aufs Neue gerecht zu werden. Zumal wenn man selbst völlig überarbeitet ist, wenn man Woche für Woche Überstunden anhäuft, wenn Seite 4 von 10
5 man montags noch keine Ahnung hat, wo man dienstags die nächste Gruppe von Flüchtlingen unterbringen soll, wenn man erlebt, wie trotz guten Willens in den Unterkünften schwierige Situationen entstehen, wenn man wie es in jeder Bevölkerungsgruppe wäre auch jenen unangenehmen Zeitgenossen begegnet, die einen an der eigenen Hilfsbereitschaft zweifeln lassen. Dann ist es normal, dass man in die Randbereiche der eigenen Belastungsfähigkeit kommt. Und dann betrifft einen diese Flüchtlingskrise plötzlich ganz direkt, im eigenen Leben, im eigenen Alltag. Um das gleich deutlich abzugrenzen: Auf uns fallen keine Bomben, wir müssen nicht um das Leben unserer Familien fürchten oder Hals über Kopf unser Land verlassen. Aber auch an uns geht diese Krise nicht spurlos vorüber. Seite 5 von 10
6 Wir dürfen das nicht herunterspielen und mit einem tröstenden Das wird schon wieder! ein Pflaster drüber kleben. Sondern wir müssen die Probleme klar ansprechen und in Angriff nehmen. Dazu gehört auch, eine Tatsache ehrlich zuzugeben: Wir haben als Kommune nicht viele Stellschrauben, an denen wir drehen können. Wir sind das schwächste Glied in der Kette wir müssen am Ende mit dem fertig werden, was die Bundespolitik und die Europapolitik anrichten. Es klingt zwar gut und ist natürlich auch richtig, Fluchtursachen zu bekämpfen. Doch selbst wenn das gelingt, sind das bestenfalls mittel- und langfristige Lösungen für ein Problem, das uns Woche für Woche ganz akut Kopfschmerzen bereitet. Auch der Aktionismus, den wir nun an Europas Außengrenzen erleben, hilft uns nicht wirklich weiter. Höhere Zäune und stärkere Mauern sind kein Allheilmittel, weil sich Menschen Seite 6 von 10
7 in höchster Not von Zäunen und Mauern nicht aufhalten lassen. Was wir brauchen, ist konkrete und schnelle Hilfe für die Kommunen, die Tag für Tag mit der Flüchtlingskrise fertig werden müssen. Ich versichere Ihnen: Was wir hier in Krefeld selbst tun können, das tun wir bereits sei es bei der schwierigen Suche nach neuen Mitarbeitern oder bei der ebenso schwierigen Akquise von zusätzlichem Wohnraum. Auch das riesige Potenzial ehrenamtlicher Hilfe versuchen wir immer besser zu erschließen unser Flüchtlingskoordinator Hansgeorg Rehbein leistet in dieser Hinsicht hervorragende Arbeit. Insgesamt können wir keine Ad-hoc-Lösungen anbieten, aber wir haben zumindest die Pflicht, genau hinzuschauen, Ihnen zuzuhören und entsprechend zu handeln. Seite 7 von 10
8 Das ist letztendlich auch die Botschaft des heutigen Dankeschön-Empfangs. Ich gebe zu: Dieser Empfang kann nicht viel mehr sein als eine Geste. Aber es ist mir wichtig, Ihnen allen danke zu sagen für das außerordentliche Engagement, mit dem Sie Ihre Aufgaben in Angriff nehmen. Ohne Sie und Ihren Einsatz würde es schlicht und einfach nicht funktionieren und dafür danke ich Ihnen von Herzen. Es ist mir außerdem wichtig, hier für ein paar Stunden die Menschen zusammenzubringen, die die Flüchtlingskrise mitten im Krefelder Alltag meistern. Ich denke, Sie kennen sich gar nicht alle untereinander das darf sich heute gerne ändern. Es ist mir wichtig, dass wir unserem Nebenmann oder unserer Nebenfrau in die Augen schauen und erkennen, dass wir an der gleichen Sache arbeiten. Keiner hier ist allein mit dem, was er tut. Seite 8 von 10
9 Die aktuellen Flüchtlingszahlen, die Woche für Woche in unser Postfach flattern, sind Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Herkulesaufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Und ich denke, dass es unsere verdammte Pflicht ist, diese Aufgabe zu bewältigen. Es ist unsere Pflicht vor unserer eigenen Geschichte, denn es ist gerade einmal 70 Jahre her, dass rund 14 Millionen Deutsche auf der Flucht waren. Es ist unsere Pflicht im Angesicht der Gegenwart, weil wir nicht zusehen dürfen, wie hinter unseren Grenzen Menschen ertrinken und erfrieren oder Krieg und Gewalt zum Opfer fallen. Es ist schließlich auch unsere Pflicht im Hinblick auf die Zukunft, denn die Menschen, die zu uns kommen, sind kein Ballast, sondern sie bedeuten auch eine Chance für unser Land und unsere Stadt. Wir dürfen uns in unserer Menschlichkeit nicht beirren lassen, wir müssen gegen alle Widerstände Seite 9 von 10
10 daran festhalten. Dann wird Krefeld diese Herkulesaufgabe meistern und am Ende von den Menschen profitieren, die zu uns kommen. Helfen Sie uns dabei, dass Krefeld wächst auch über sich hinaus wächst. Dann werden wir vielleicht in einigen Jahren auf eine Krise zurückblicken, die sich als historische Chance entpuppt hat. Seite 10 von 10
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