Bundesarbeitsgericht begrenzt Kettenbefristungen
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1 NEWSLETTER Bundesarbeitsgericht begrenzt Kettenbefristungen ARNECKE SIEBOLD Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Hamburger Allee Frankfurt/Main Germany Tel Fax Frankfurt@ArneckeSiebold.de Web 1
2 Bundesarbeitsgericht begrenzt Kettenbefristungen Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner neuesten Entscheidung zu sogenannten Kettenbefristungen vom 18. Juli 2012, 7 AZR 443/09, entschieden, dass Befristungen von Arbeitsverträgen trotz Vorliegens eines Sachgrundes aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein können. Für das Vorliegen eines solchen Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen. Der Fall: Die Klägerin war bei dem beklagten Land von Juli 1996 bis Dezember 2007 aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen als Justizangestellte im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln beschäftigt. Die einzelnen Befristungen beruhten jeweils darauf, dass sich Justizangestellte in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit der von ihr eingereichten Befristungskontrollklage wendete sich die Klägerin gegen die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses durch den letzten im Dezember 2006 geschlossenen Arbeitsvertrags, der eine Befristung bis Dezember 2007 vorsah. Die Klage wurde vom Arbeitsgericht und vom Landesarbeitsgericht abgewiesen. Im Rahmen des anschließenden Revisionsverfahrens hat das Bundesarbeitsgericht den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung gebeten, ob es mit 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Verträge (Rahmenvereinbarung) vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrages auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der auch durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Tatsache, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreift, der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung nicht entgegensteht und dass daraus auch nicht das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne der genannten Bestimmung folgt (EuGH, 2
3 Urteil vom 26. Januar 2012, C/586/12 Kücük ). Das Gericht hat in diesem Zusammenhang aber darauf hingewiesen, dass die nationalen staatlichen Stellen auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen müssen, da diese einen Hinweis auf Missbrauch geben können, der durch 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarungen gerade verhindert werden soll. Die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinanderfolgenden Verträge können sich nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes bei dieser Prüfung als relevant erweisen. Das Bundesarbeitsgericht hat daraufhin das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Entscheidungsgründe: Nach dem Bundesarbeitsgericht steht zwar das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrundes der Vertretung nicht entgegen, sondern es kann an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden. Allerdings kann die Befristung eines Arbeitsvertrages trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes unter besonderen Umständen wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten unwirksam sein. Dabei sind an einen solchen ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Es sind in diesem Zusammenhang alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber die Gesamtdauer und die Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge, zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass für die Befristung zwar der Sachgrund der Vertretung vorlag. Allerdings sprechen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die Gesamtdauer von 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt hat. Das Bundesarbeitsgericht hat der Klage dennoch nicht stattgegeben und den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, weil dem beklagten Land Gelegenheit zu geben ist, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen. 3
4 In einem weiteren Fall (7 AZR 783/10), den das Bundesarbeitsgericht ebenfalls am 18. Juli 2012 entschieden hat, wies das Gericht (wie auch alle Vorinstanzen) die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 1. März 2002 bis zum 30. November 2009 aufgrund von 4 jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Dabei erfolgte die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Das Bundesarbeitsgericht hat angenommen, dass die Befristung nach 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt war. Angesichts der Gesamtdauer von 7 Jahren und 9 Monaten sowie die Anzahl von 4 Befristungen habe es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs gegeben. Praxishinweis: Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen oben genannten Urteilen an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung, insbesondere auch daran, dass im Rahmen von sogenannten Kettenbefristungen jeweils die letzte Befristung entscheidend ist, uneingeschränkt festgehalten. Das Gericht hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Befristung eines Arbeitsvertrages, trotz Vorliegen eines Sachgrundes, unter besonderen Umständen rechtsmissbräuchlich sein kann. Für die Prüfung der Rechtsmissbräuchlichkeit sind danach alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen. Hierdurch hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung, dass bei sogenannten Kettenbefristungen jeweils nur die letzte Befristung zu überprüfen ist, aufgeweicht. Nunmehr sind im Rahmen der zwingenden Überprüfung eines Rechtsmissbrauchs auch die Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge und damit mittelbar auch zuvor geschlossene befristete Arbeitsverträge zu berücksichtigen. Zukünftig muss daher in jedem Einzelfall bei der Überprüfung der Wirksamkeit sogenannter Kettenbefristungen nach der Überprüfung des Vorliegens eines Sachgrundes zwingend das Vorliegen eines etwaigen Rechtsmissbrauchs anhand oben genannter Kriterien erfolgen. MORE INFO: Annette.Knoth@ArneckeSiebold.de; Jan.Grawe@ArneckeSiebold.de; 4
5 Für weitere Informationen zu den Themen dieses Newsletters oder für sonstige rechtliche Fragen stehen Ihnen unsere Kollegen der Fachgruppe gerne zur Verfügung. Dieser Newsletter fasst höchstrichterliche Rechtsprechung und andere Rechtsfragen abstrakt zusammen und gibt keinen Rechtsrat zu einem konkreten Sachverhalt oder Problem. Soweit Urteile dargestellt werden, betrifft die Darstellung immer nur die konkrete Entscheidung des jeweiligen Gerichts, ungeachtet deren späteren Aufhebung oder einer anderweitig eingetretenen Rechtsänderung. Bei konkreten Fragen sollten Sie einen der Spezialisten aus unserer Sozietät konsultieren. Dieser wird Ihre Fragen gerne beantworten. ANNETTE KNOTH, MBA Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht THOMAS HARTMANN, LL.M. SCHAHIN HAGHANI, LL.M. Tel Dr. JAN GRAWE PETER KIESGEN und Notar Fachanwalt für Versicherungsrecht Tel INGA ROHWEDER Rechtsanwältin MAIKE STRÖMER Rechtsanwältin und Notarin Fachanwältin für Arbeitsrecht Fachanwältin für Medizinrecht Tel ARNECKE SIEBOLD Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Hamburger Allee Frankfurt/Main Germany Tel Fax Frankfurt@ArneckeSiebold.de Web
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