Tuina-Massage. Die Energie wieder zum Fliessen bringen

Transkript

1 Tuina-Massage Die Energie wieder zum Fliessen bringen Vor rund fünf Jahren hat Lixia Jin im appenzellischen Dorf Lustmühle eine Praxis für chinesische Medizin eröffnet, in der seit drei Jahren auch ihr Mann mitarbeitet. Dort bieten sie unter anderem Tuina-Massagen an. Mit dieser altbewährten Massagemethode bringen sie gestaute Energien wieder zum Fliessen und können so eine Vielzahl von Beschwerden lindern oder gar heilen. Hans-Peter Studer hat mit Lixia Jin über die Hintergründe, Anwendung und Wirkungsweise von Tuina gesprochen. Kontakt: Tel: 071 / , Mobiltelefon: Was ist und bedeutet Tuina? Tuina ist eine chinesische Massagemethode. Der Begriff setzt sich aus den beiden Worten tui und na zusammen. Tui heisst mit Kraft längs drücken und schieben, na bedeutet nach oben ziehen. Damit sind zwei Massagetechniken gemeint, die Teil von Tuina sind. Insgesamt umfasst Tuina 23 verschiedene Techniken, die sich in sechs Gruppen gliedern. Wo liegt der Ursprung von Tuina? Tuina ist im 16. Jahrhundert aus Anmo entstanden. Anmo ist sehr viel älter, es besteht seit mehr als 2500 Jahren. Auch Anmo setzt sich aus zwei chinesischen Worten zusammen. An bedeutet mit Kraft nach unten pressen und mo mit der Hand eine kreisförmige Bewegung machen. Am Anfang bestand die Massagetechnik nur aus diesen beiden Hauptbewegungen. Tuina stellt also eine Weiterentwicklung von Anmo dar? In der Ming-Dynastie wurde das Massagesystem um etwa 1560 n.chr. neu beschrieben, erweitert und speziell auch auf Kinder ausgerichtet. Dieses System erhielt den Namen Tuina. Davor wurden im Rahmen von Anmo auch noch Nadeln verwendet. Im klassischen Lehrbuch Neijing wurden neun verschiedene Nadeln beschrieben. Heute jedoch sind die Nadeln der Akupunktur vorbehalten? Akupunktur und Anmo hingen eng miteinander zusammen. Bei einer Tuina-Massage werden jedoch keine Nadeln verwendet, sondern es wird mit den Händflächen massiert oder mit dem Daumen, mit den anderen Fingern und auch mit dem Ellbogen. Eine Tuina-Massage ist folglich etwas ganz Anderes als Akupressur? Die Bezeichnung Akupressur habe ich hier im Westen zum ersten Mal gehört. Dabei geht es darum, Akupunktur-Punkte mit den Fingern zu drücken. Das machen wir zwar bei einer Tuina-Massage auch. Aber es stellt nur einen kleinen Teil von Tuina dar. Weit mehr massieren wir ganze Körperregionen mittels gezielter Techniken. Welchen Stellenwert hat Tuina im heutigen China? In China haben wir immer zwei Systeme, sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis einerseits die westliche Schulmedizin und andererseits die chinesische Medizin. Beides wird an den Universitäten gelehrt. Es gibt auch Spitäler, die auf chinesische und solche, die auf westliche Medizin spezialisiert sind. In einem Spital für chinesische Medizin gibt es meistens eine separate Abteilung für Tuina oder Anmo. Das

2 findet man fast in jedem chinesischen Spital, desgleichen auch eine Abteilung für Akupunktur. Tuina hat in China also auch heute noch eine grosse Bedeutung? Wir sagen immer: Am wichtigsten sind die Nadeln sowie die Moxibustion. Dabei werden mit brennenden Beifuss-Stäbchen spezielle Hautpunkte auf den Meridianen erwärmt. Auch Heilkräuter haben in der Chinesischen Medizin eine grosse Bedeutung. Tuina ist insgesamt etwas weniger wichtig, aber es gibt dennoch eine Tuina-Abteilung an jedem chinesischen Spital. Auch an den Universitäten gibt es ein Fachgebiet für Akupunktur und Tuina-Massage. Zusammen mit Moxa bilden sie eine Fachrichtung. Die andere Fachrichtung beinhaltet Heilkräuter. Wird Tuina in China gegen Krankheiten eingesetzt oder auch im präventiven Sinn? Für beides. Im Spital stehen natürlich die Krankheiten im Vordergrund. Es gibt aber in China Im Rahmen der heutigen politischen Veränderungen zunehmend auch freipraktizierende Therapeutinnen und Therapeuten, die Tuina in eigener Praxis anbieten, oft zusammen mit Akupunktur. Dort kann eine Behandlung auch der Vorbeugung von Krankheiten dienen. Nun ist die Methode auch in die Schweiz gekommen und Sie mit ihr. Wann setzen Sie eine Tuina-Massage ein? Tuina hat eigene Indikationsgebiete: Verletzungen, Sportverletzungen, Verletzungen von Muskeln und Sehnen sowie Gelenkprobleme. Natürlich kann man sie auch bei bestimmten Krankheiten anwenden, zum Beispiel bei Verdauungsproblemen, Schlafstörungen, Rheuma und Weichteilrheuma, aber oft auch im Sinne einer zusätzlichen Methode. Wir verwenden Tuina meistens zusammen mit Akupunktur. Auch auf dem grossen Gebiet der Schmerzsyndrome ist Ähnlich wie bei Akupressur werden auch bei einer Tuina-Massage bestimmte Punkte gezielt aktiviert. Dies stellt jedoch nur einen kleinen Teil der Therapie dar. Tuina sehr hilfreich. Aus Kostengründen wenden wir aber nach Möglichkeit nur eine Methode an, falls sie ausreichend ist. Wie viel kostet eine Behandlung? Eine halbstündige Tuina-Massage kostet 100 Franken, eine viertelstündige Massage, die wir zusätzlich zu Akupunktur einsetzen, 40 Franken. Eine solche Massage ist jedoch keine Wohlfühl-Massage, sondern eine Therapie. Wir behandeln damit Krankheiten. Dahinter steht eine Theorie, warum und wie eine Tuina-Massage diese beheben kann. In China gibt es hierzu viele Studien. Wie wirkt Tuina auf eine Krankheit? In der Chinesischen Medizin kommt Chi und dem Blut eine grosse Bedeutung zu. Chi hat mit fliessender Energie zu tun. Wenn es im Körper ein Problem gibt, zum Beispiel Verletzungen oder Beeinträchtigungen durch Wind, Kälte oder Feuchtigkeit, dann kann Chi und das Blut nicht mehr so gut fliessen. Dann führt das zu einer Art Stauung, woraus Schmerzen entstehen. Die Tuina Massage bezweckt, Chi respektive das Blut

3 wieder gut zum Fliessen zu bringen. Dann verschwinden auch die Schmerzen. Sie haben Chi und Blut zusammen genannt. Das ist aber nicht das Gleiche? Ist Chi energetisch zu verstehen und Blut so, wie wir es verstehen? Nein, Blut wird in China ganz anders verstanden. Es ist nicht nur ein roter Körpersaft. Blut ist eine Flüssigkeit, welche die Organe und Körperteile nährt. Das ist die Basis für einen gut funktionierenden Organismus. Blut hat eine ernährende Funktion, es kann den Organen Essenz geben. Es geht dabei auch um eine energetische Essenz. Das heisst, Chi wird auch über das Blut transportiert und umgekehrt treibt Chi das Blut an, damit es fliessen kann. Das sind grundlegende Basistheorien der Chinesischen Medizin. Dem Fliessen von Chi und Blut kommt also eine zentrale Bedeutung zu. Wenn es stockt, entstehen Schmerzen, und die Stauung kann verschiedene Ursachen haben? In der Chinesischen Medizin wird immer zwischen äusseren und inneren Ursachen unterschieden. Von aussen sind es Dinge wie Wind, Kälte, Feuchte oder auch Hitze, aber auch die Ernährung, von innen her sind es Emotionen, Stress, Depressionen etc. Das kann ebenfalls zu einer Stauung von Chi und zu Schmerzen führen. und folglich auch zu Krankheiten? Schmerzen sind meistens auf Stauungen zurückzuführen. Aber Krankheiten haben immer verschiedene Ursachen und stehen im Zusammenhang mit verschiedenen Krankheitsbildern. Das Chi oder Blut wieder zu beleben, ist nur eine Funktion von Tuina. Ein inneres organisches Problem kann seine Ursachen auch in äusseren Problemen haben. Innen und Aussen stehen miteinander in Verbindung, und durch eine äusserliche Anwendung wie Tuina kann auch auf ein inneres organisches Problem Einfluss Eine Tuina-Massage hat unter anderem das Ziel, gestaute Energien wieder zum Fliessen zu bringen. genommen werden. Man kann so auch innere Organe regulieren. Eine Tuina-Massage gibt also auch Impulse auf innere Organe, zum Beispiel bei Verdauungsproblemen, Schlafstörungen oder Rheuma. Gilt das auch für Herzprobleme? Bei Herzproblemen gibt es einen bestimmten Bereich, der Schmerzen und Beschwerden verursacht. Da kann man ebenfalls einen Impuls geben, um das Problem zu lindern. Das hängt auch wieder mit unserem ganzen System zusammen, mit den Meridianbahnen und den Akupunktur-Punkten. Zum Beispiel bei Gallensteinen und damit verbundenen Koliken gibt es einen bestimmten Punkt. Wenn man darauf drückt, empfindet der Patient Schmerzen. Und wenn jemand sonst ein inneres Problem hat, kann man an einem zugehörigen Punkt auf dem Körper eine Reaktion finden, zum Beispiel einen Knoten oder eine Stauung. Durch eine Tuina-Massage lässt sich dieser Knoten oder diese Stauung lösen. Das hilft

4 in der Folge auch, das damit zusammenhängende innere Problem zu lösen. Die Tuina-Massage kann also Schwächen nicht nur des Energieflusses, sondern auch eines Organs beheben? Nicht nur Schwäche ist ein Problem. Es kann auch eine Überfunktion vorhanden sein. Wir sagen dem Fülle oder Überfülle. Entsprechend muss man verschiedene Techniken anwenden, entweder tonisieren oder sedieren, das heisst aufbauen, energetisch stärken oder aber beruhigen, dämpfen, das Zuviel etwas wegnehmen. Wie wissen Sie, was genau Sie machen müssen? Wie diagnostizieren Sie einen Patienten? Wir basieren unsere Diagnose auf vier Verfahren: Zuerst schauen wir den Patienten an auch seine Zunge und stellen danach Fragen. Zudem riechen wir und nutzen die Pulsdiagnostik. Das geht auch, wenn der Patient bewusstlos ist. Die Chinesische Medizin kennt 28 verschiedene Pulsarten. Die Pulsdiagnostik setzt jedoch sehr viel Erfahrung voraus. Bei starken Stauungen kann bei einer Tuina-Massage kann auch der Ellbogen eingesetzt werden. Das gilt sicherlich auch für die gesamte Chinesische Medizin? Ja, ich habe sechs Jahre studiert, davon beinhaltete etwa ein Drittel schulmedizinische Kurse. Es ist gut, beide Arten von Medizin gut zu kennen. Patientinnen und Patienten, die zu mir kommen, sind davor oft schon lange schulmedizinisch behandelt worden. Da ist es wichtig, dass ich mich auch in der Schulmedizin auskenne, um zu wissen, was ich nun mit Hilfe der Chinesischen Medizin zusätzlich bewirken kann. Mein Partner und ich praktizieren nun schon seit 20 Jahren, davon seit 12 Jahren in der Schweiz und seit fünf Jahren in eigener Praxis. Wir bilden uns laufend weiter, damit wir gute Erfolge haben und von unserer therapeutischen Arbeit leben können. Wie sind die Erfolgschancen, wenn ich als Patient mit Beschwerden zu Ihnen komme? Das hängt von der Krankheit ab. Zudem ist jeder Patient individuell, er bringt sein ganz eigenes Beschwerdebild mit. Wir können unseren Patientinnen und Patienten keine absolute Erfolgsgarantie geben. Aber wenn man schon lange praktiziert, dann kann man immer mehr Krankheiten angehen. Man weiss jedoch gleichzeitig, dass es manchmal nicht einfach ist, sie völlig zu heilen. Bei den meisten Patienten kommt es aber zumindest zu einer deutlichen Besserung, bei manchen verschwinden die Beschwerden sogar ganz. In schwierigeren Fällen gibt es jedoch auch Einschränkungen von der Zusatzversicherung her, weil diese unter Umständen nur eine bestimmte Anzahl Therapien übernimmt. Das reicht manchmal nicht aus, die Krankheit völlig zum Verschwinden zu bringen. Die Patienten müssen also oft mehrmals kommen, bis eine Wirkung eintritt? Auch das ist abhängig von der Krankheit. Manchmal genügt schon eine Behandlung, manchmal drei oder vier, in einigen Fällen jedoch sind mehr als zehn Behandlungen

5 nötig. Es kommen aber auch viele Krebskranke, die wir begleitend behandeln. Da kann man nicht erwarten, dass wir den Krebs zum Verschwinden bringen können. Wir können jedoch die Beschwerden oder die Begleiterscheinungen einer Chemotherapie lindern. Vor allem bei chronischen Krankheiten ist es auch möglich, dass die Patientinnen und Patienten zwischen den Behandlungen zuhause selber Übungen ausführen. Zudem empfehlen wir ihnen, worauf sie in ihrem Lebensalltag achten sollten. Kann eine Tuina-Massage auch schmerzhaft sein? Unter Umständen schon. Es kann sein, dass ein Knoten weh tut, wenn wir ihn aufzulösen suchen. Tuina ist wie gesagt nicht bloss eine Wohlfühl-Therapie. Wenn muskuläre Verspannungen vorhanden oder Gelenke verschoben sind, dann muss man versuchen, das durch spezielle Techniken wieder in Ordnung zu bringen und das kann auch schmerzen. Danach lösen sich jedoch die Spannungen und die Patientinnen und Patienten sagen, es tue wirklich sehr gut. Sie fühlen sich danach wohl und befreit. Arbeiten Sie auch mit Ärztinnen und Ärzten zusammen? Ja, es gibt Hausärzte, die uns Patienten schicken. Das ist sogar vermehrt der Fall. Wichtig ist auch die Mund-zu-Mund-Propaganda und dabei spielen zufriedene Patienten eine wichtige Rolle. Wir machen selber kaum Werbung. Die Chinesische Medizin ist schon mehr als 2500 Jahre alt. Uns ist wichtig, dass wir sie kompetent und korrekt anwenden. Wir können zwar nicht alles behandeln, wir versuchen aber, uns laufend weiter zu verbessern, damit wir Patientinnen und Patienten helfen können. Ich freue mich, dass unsere Medizin von der Schweizer Bevölkerung mehr und mehr akzeptiert wird und dass immer mehr Leute sich dafür interessieren und Gebrauch davon machen. Herzlichen Dank für das interessante und informative Gespräch!