Hartmut Wendland MARIA MAGDALENA. Kantate für Sopran, Bariton und gemischten Chor

Transkript

1 Hartmut Wendland MAGDALENA Kantate für Sopran, Bariton und gemischten Chor 1996

2 Irgendwo auf dieser Welt stirbt jetzt ein Mensch. Irgendwo auf dieser Welt wird jetzt ein Kind geboren. Irgendwo auf dieser Welt erschlägt jetzt Kain seinen Bruder Abel. Irgendwo auf dieser Welt liebt ein Mann eine Frau, liebt ein Mann einen Mann, eine Frau eine Frau, eine Mutter ihr Kind. Irgendwo auf dieser Welt lebt ein Mensch in Sünde. Irgendwo stirbt ein Soldat, irgendwo freut sich ein Kind, irgendwo erlischt ein Stern Und irgendwo geht jetzt die Sonne auf! Und ihr Licht wirft einen Schatten und der Schatten ist ein Kreuz. Und im Schatten kniet ein Mensch und der Mensch ist eine Frau und sie ist aus Golgatha und heisst: Maria, ich liebe dich! Wie soll ich den Menschen vergeben, wenn da keine Sünden sind? Wie soll ich sie sehend machen, wenn da keine Blinden sind? Maria, ich liebe dich! Wie soll ich sie gehen machen, wenn da keine Lahmen sind? Wie lass ich die Toten auferstehn, wenn sie am Leben sind? Maria, wo ist Dein Bruder Lazarus? Herr, ich habe Dein Gebet erhört, Herr, ich habe Dein Gebet erhört! Mein Bruder ist tot! Herr, hast Du uns nicht gehört? Seit Tagen rufen wir, seit Tagen klagen wir, und der Messias schweigt. Wo warst du Herr, der du Mensch geworden bist, als deine Menschen dich brauchten? Sieh Herr: Wir haben tausend Jahre gewartet bis der Messias kam. Und dann, als er da war und da sein sollte, war er nicht da. Wir haben die Augenblicke gezählt,

3 wir haben die Atemzüge gezählt, wir haben die Stunden gezählt. Und du Herr hast Tage daraus gemacht. Wo warst du, Herr? Wo bist du, Herr? Wo wirst du sein, wenn Deine Menschen dich brauchen? Komm zu uns, komm zu Lazarus, komm in die Nacht, damit der langersehnte Tag anbricht! Herr, Du schweigst! Herr, Du kommst nicht! Vielleicht bist Du bei Lazarus, vielleicht bist Du tot. Wir haben geweint, wir haben geklagt. Verzeih uns Herr, wir haben verzagt. Und Lazarus, und Lazarus ist tot! Maria, ich habe Deinen Ruf gehört, Maria, ich habe Deinen Ruf gehört. Dein Bruder lebt! Maria, wie konntest du weinen? Maria, wie konntest du klagen? Maria, wie konntet ihr zweifeln und so schnell verzagen? Weisst du es nicht? Wisst ihr es nicht? Ich bin die Auferstehung und das Licht! Und wer an mich glaubt, wird nur leiblich begraben Und wird das ewige Leben haben. Und doch, ach! Und doch, ach! Warum ich nicht kam, ich sag es Dir nun: Ich hatte mit meinem eigenen Tod zu tun. Wie klein, wie klein ist eure Not Gegen mein für euch ertragenen Tod? Maria, ich steh ja noch davor, Maria, es ist ein dunkles Tor, Maria, Maria, es ist mein eigener Tod. Und er ging in den Garten, genannt Gethsemane, auf seinen Tod zu warten, das Herz tat ihm so weh. Und als er nach seinen Jüngern rief, da schliefen alle tief. Sie schlafen alle, sie schlafen alle! Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? Sie schlafen alle, sie schlafen alle! Nein! Einer schläft nicht, einer schläft nicht! Judas ist wach und er tut seine Pflicht. Judas, ich liebe Dich, Judas ich rufe Dich, Judas, ich brauche Dich! Wie soll ich an s Kreuz gelangen, wenn da kein Verräter ist? Wie soll ich den Tod empfangen, wenn mein Judas mich vergisst?

4 Judas, ich liebe Dich, Judas ich rufe Dich, Judas, ich brauche Dich! Wie kann ich die Augen schliessen, wenn ich auf dich warten muss? Wie soll ich mein Blut vergiessen, ohne deinen Bruderkuss? Judas, Du schweigst! Judas, Du kommst nicht! Judas, mein Judas! Warum hast Du mich verlassen? Wer auf dieser weiten Welt, wer auf dieser weiten Welt, betet mit mir für Judas? Maria, wo immer Du bist, bete mit mir für Judas. Herr, ich will mit Dir für Judas beten! Herr, ich will mit Dir für Judas beten! Er hat es verdient! Judas, Judas! Du hast es auf dich genommen, für mich in diese Welt zu kommen. Judas! Ich habe keinen so geliebt, weil du es bist, der mir mein Sterben gibt. Judas, die Menschen schmähen Deine Taten. Ich liebe Dich, denn Du wirst mich verraten. Johannes hat mir den Weg in die Welt bereitet, du aber hast mir das Kreuz als Ziel gedeutet! Judas, ich kam doch zum Sterben in dieses Leben, und Du, Du wirst den Tod mir geben. Judas, Judas, du wirst mich von diesem Leben befreien, oh mögen die Menschen dir verzeihen! Judas! Und wenn ein Mensch dir nicht vergibt, sag ihm: ich habe dich geliebt. Judas, Judas! Es ist vollbracht, ihr könnt mich holen noch diese Nacht. Judas, ich habe dich von aller Schuld befreit, ihr könnt mich holen, ich bin bereit! Sie nahmen ihn gefangen und Judas küsste ihn, und als die Nacht vergangen, verurteilten sie ihn. Er nahm sein Kreuz und ging allda hinauf nach Golgatha. Er fühlte keine Wunde, nicht wie man ihn bespie, doch um die neunte Stunde hob er das Haupt und schrie. Da ward es Nacht die Sonn schien nicht, er aber starb im Licht. Herr, oh Herr, es ist vollbracht. Herr du schweigst, du atmest nicht, Herr, du bist tot. ich habe die Augenblicke gezählt,

5 ich habe die Atemzüge gezählt, ich habe die Stunden gezählt. Und nun, Herr, war es schon zweimal Nacht. So komm ich denn zu Dir an s Grab, dass ich noch einmal meinen Jesum hab! Der Stein ist fort und das Grab ist leer, so finde ich meinen Jesus nimmermehr. Dort kommt der Gärtner, den will ich fragen, wo sie den Leib uns res Herrn hingetragen. Herr, sagt mir, wer hat den Stein bewegt? Und wo habt ihr den Leib meines Herrn hingelegt? Herr, ihr schweigt, Herr, ihr sagt nichts. Sie nahmen mir ja meinen Jesum fort, so sagt mir doch nur ein einziges Wort! Und sie erkannte ihn. Rabbi, Rabbi! Wir sind erstanden von des Todes Banden. Vergangen ist die finstre Nacht und der Tod hat keine Macht! Ewiges Licht. Irgendwo auf dieser Welt stirbt jetzt ein Mensch. Irgendwo auf dieser Welt wird jetzt ein Kind geboren. Irgendwo auf dieser Welt erschlägt jetzt Kain seinen Bruder Abel. Irgendwo auf dieser Welt liebt ein Mann eine Frau, ein Mann einen Mann, eine Frau eine Frau, eine Mutter ihr Kind. Irgendwo auf dieser Welt lebt ein Mensch in Sünde. Irgendwo stirbt ein Soldat, irgendwo freut sich ein Kind, irgendwo erlischt ein Stern Und irgendwo geht jetzt die Sonne auf! Nehmt dieses Licht, es ist mein Leben, ich habe es euch zum Leben gegeben. Und die in diesem Lichte gehn, werden mit mir auf erstehn! Und im Licht steht ein Soldat, ein Mann eine Frau, eine Mutter, ein Kind, eine Sünderin, Maria und Judas. In diesem Lichte steht ihr alle! Wir alle, wir alle Amen, Amen