Bayerisches Staatsministerium des Innern

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1 Bayerisches Staatsministerium des Innern Verfassungsschutzinformationen Bayern 1. Halbjahr 2013 Grenzüberschreitender Rechtsextremismus Bayerische Rechtsextremisten haben Verbindungen insbesondere nach Tschechien, Ungarn, Griechenland, Österreich und Italien. Diese Kontakte führen immer wieder zu länderübergreifenden Aktionen. Im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess häuften sich in München Sachbeschädigungsdelikte mit offensichtlich rechtsextremistischem Hintergrund. Rechtsextremisten nutzen öffentliche Veranstaltungen zur Verbreitung ihrer Propaganda. Vereinsrechtliche Ermittlungen gegen das Freie Netz Süd verunsichern die Szene. Internationale Kontakte bayerischer Rechtsextremisten Zwischen bayerischen und ausländischen Rechtsextremisten bestehen zahlreiche persönliche Kontakte. Verbindungsleute in den Gruppierungen garantieren die gegenseitige Mobilisierung für internationale Szene-Veranstaltungen wie Konzerte, Feiern und Großdemonstrationen. Dabei kommt es in der Regel zu einer vorübergehenden länderübergreifenden Zusammenarbeit, in Einzelfällen auch zu dauerhaften Kooperationen. Rechtsextremistische Konzertveranstaltungen dienen als Plattform für soziale Kontakte und ermöglichen es, ein Netzwerk persönlicher Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Aufgrund des intensiven Überwachungsdrucks der Sicher- Telefon: Odeonsplatz 3 Telefax: Internet: München

2 - 2 - heitsbehörden gelingt es den Veranstaltern in Bayern nur noch selten, rechtsextremistische Konzerte durchzuführen. Bayerische Rechtsextremisten weichen deshalb häufig auf Skinhead-Konzerte im Ausland aus. Bayerische Rechtsextremisten pflegen Kontakte insbesondere nach Tschechien, Ungarn, Griechenland, Österreich und Italien: Tschechien Rechtsextremisten aus Bayern und Tschechien sind seit 2010 im Deutsch- Böhmischen Freundeskreis aktiv, um bestehende Kontakte zu festigen und neue zu knüpfen. Sie organisieren regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen wie den Tag der Freundschaft ; dieser findet seit 2010 jährlich statt, zuletzt im Jahr 2012 in Prag und Regnitzlosau, Landkreis Hof. Seit Jahren nehmen bayerische Rechtsextremisten auch an Demonstrationen in Tschechien teil. In Ostrava, der Partnerstadt Dresdens, demonstrierten am 16. Februar etwa 150 Rechtsextremisten; rund 80 Personen stammten aus Bayern. Unter dem Motto Ein Licht für Dresden sollte in geschichtsrevisionistischer Absicht an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg erinnert werden. Als Redner trat u.a. Daniel Weigl, informeller Führer der rechtsextremistischen Kameradschaft Widerstand Schwandorf und Vorsitzender des Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz e.v. (BiSAO), auf. Simon Preisinger, Führungsfigur des Aktionsbündnisses Nordoberpfalz und ebenfalls Vorstandsmitglied der BiSAO, sprach am 18. Mai in der tschechischen Stadt Litvinov anlässlich des Reho-Gedenkmarsches, der an den Tod des Rechtsextremisten Milos Reho erinnern soll. Unter den rund 80 Teilnehmern waren auch mehrere bayerische Rechtsextremisten. Im Gegenzug trat beispielsweise im Rahmen der 1. Mai-Kundgebung in Würzburg ( Nationale Arbeiterkampfdemo ), die maßgeblich von Akteuren des Freien Netz

3 - 3 - Süd organisiert worden war, eine tschechische Aktivistin als Rednerin auf. Sofern die Reden nicht in der jeweiligen Landessprache gehalten werden können, werden diese von Aktivisten der Szene übersetzt. Ungarn In Ungarn findet seit 1997 eine rechtsextremistische Großveranstaltung anlässlich des Jahrestags der Kesselschlacht von Budapest statt. Bayerische Neonazis nehmen seit 1998 daran teil und nutzen die Veranstaltung insbesondere um der beteiligten deutschen SS-Divisionen zu gedenken. Auch die diesjährige Veranstaltung am 9. Februar wurde von bayerischen Rechtsextremisten besucht. Neonazis aus dem Umfeld des Freien Netz Süd unterhalten unter der Bezeichnung Deutsch-Ungarischer Freundeskreis Kontakte zu ungarischen Rechtsextremisten und organisieren gegenseitige Besuche. Griechenland Aktivisten des Freien Netz Süd (FNS) pflegen seit Ende 2012 Kontakte zur griechischen rechtsextremistischen Partei Chrysi Avgi (auf Deutsch: Goldene Morgenröte). Die Partei ist Mitglied der Europäischen Nationalen Front, einem europaweiten rechtsextremistischen Parteienbündnis, in dem auch die NPD vertreten ist. Sie vertritt offen neonazistische Positionen, die territoriale Ansprüche an Nachbarstaaten ebenso umfassen wie die Diskriminierung von Migranten. Erklärtes Ziel der Partei ist es, durch eine (gewalttätige) Revolution einen neuen Staat zu schaffen, in dem nur noch Menschen rein griechischen Blutes Wahlrecht haben. Am 2. Februar besuchten mehrere FNS-Aktivisten auf Einladung der Chrysi Avgi deren Parteizentrale in Athen und nahmen an einem von der Partei organisierten Gedenkmarsch mit eigenen Angaben zufolge insgesamt Demonstranten teil. Dem Besuch in Athen vorausgegangen war im November 2012 ein Treffen zwischen Chrysi Avgi-Funktionären und FNS-Aktivisten in Nürnberg. Dabei wurde eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit vereinbart.

4 - 4 - Österreich Der österreichische Holocaustleugner Gottfried Küssel gilt auch in der bayerischen Neonazi-Szene als Schlüsselfigur. Küssel ist bereits seit 1976 in der rechtsextremistischen Szene aktiv und international vernetzt. Er wurde am 10. Januar wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung vom Wiener Straflandesgericht zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Daraufhin fand am 11. Januar vor dem österreichischen Generalkonsulat in München eine Kundgebung mit dem Thema Freiheit für Gottfried Küssel statt, an der rund 30 Rechtsextremisten teilnahmen. Bereits am 13. April 2011 hatten Münchner Neonazis anlässlich der Verhaftung Küssels vor dem österreichischen Generalkonsulat demonstriert. Italien Solidaritätsbekundungen bayerischer Szene-Angehöriger finden auch in der so genannten Südtirol-Frage, der Loslösung Südtirols von Italien, statt. Am 20. Februar, dem Todestag des Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer, trafen sich die Aktivisten der Aktionsgruppe Bayreuth im Stadtgebiet von Bayreuth, um Flugblätter zum Thema,,Südtirol ist nicht Italien Südtirol bleibt deutsch" zu verteilen. Bei bayerischen Skinheads besonders beliebt sind die jährlichen Skinhead- Konzerte in Norditalien, die von den Veneto-Fronte -Skinheads veranstaltet und von bis zu Rechtsextremisten aus ganz Europa besucht werden. Die Skinhead-Gruppierung Veneto Fronte (Raum Verona/Vincenza) gilt als die italienische Vertretung der seit September 2000 in Deutschland verbotenen Blood & Honour Bewegung. Bei den Konzerten treten auch bayerische Skinhead-Bands auf. Aktivitäten anlässlich des NSU-Prozesses Am 6. Mai begann vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München der Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Beschuldigte u. a. wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Rechtsextremisten nutzen das öffentliche Interesse am Prozess für ihre eigenen Propagandazwecke. Mit Solidaritätsbekundungen für mutmaßliche Unterstützer

5 - 5 - des NSU und dem Erscheinen am Gerichtsgebäude werden der Rechtsstaat und die Angehörigen der NSU-Opfer verhöhnt. So verteilten am 16. und 17. April Aktivisten der neonazistischen Kameradschaft München im Umfeld des Strafjustizzentrums Flugblätter u.a. mit der Parole Freiheit für Ralf `Wolle` Wohlleben!. Herausgeber des Flyers war das Freie Netz Süd. In der Szene wurden auch T-Shirts mit dieser Parole festgestellt. Der als NSU-Unterstützer angeklagte Ralf Wohlleben, der lange Zeit in Thüringen in der NPD aktiv war, hat bisher jegliche Kooperation mit den Ermittlungsbehörden verweigert und erfährt deshalb eine besondere Solidarität in der Szene. In den Augen der Rechtsextremisten gilt er als unbeugsam und Opfer des NSU- Phantom-Prozesses. Neonazis der Münchner Kameradschafts-Szene gewährten einem Prozessbeteiligten sowie Angehörigen von Angeklagten Unterkunft in einer Immobilie in München- Obermenzing, die im Dezember 2012 von Münchner Neonazis angemietet wurde und seitdem regelmäßig für Kameradschaftstreffen genutzt wird. Im Zusammenhang mit dem Auftakt zum NSU-Prozess häuften sich in München Sachbeschädigungsdelikte, die auf einen rechtsextremistischen Hintergrund schließen ließen. Betroffen waren Wohn- und Geschäftsräume von Organisationen und Einzelpersonen, die von Rechtsextremisten dem linken Spektrum zugerechnet werden und eine Anwältin, die Angehörige eines NSU-Opfers vertritt. Ein Anwesen im Münchner Stadtteil Westend, an dem Plakate mit Bezug zum NSU-Prozess aufgehängt waren, war mehrfach Ziel von Attacken. Unter anderem griff man Bewohner mit rohen Eiern an, schlug Fensterscheiben ein und warf Farbbeutel an die Hausfassade. Am 29. Mai wurden drei Verdächtige im Zusammenhang mit einer solchen Aktion festgenommen. Sie gehören der rechtsextremistischen Szene in München an. Im Zuge der weiteren Ermittlungen ist zu klären, ob diese Personen auch für weitere Taten verantwortlich sind.

6 - 6 - Abhängig vom weiteren Prozessverlauf und dem öffentlichen Interesse ist nicht auszuschließen, dass es zu weiteren Anschlägen dieser Art kommt. Ein infolge des NSU- Prozesses dauerhaft gestiegenes Gewaltpotenzial ist in der rechtsextremistischen Szene aktuell nicht feststellbar, sehr wohl aber ein stärker aktionistisches Auftreten. Rechtsextremistische Aktivitäten bei gesellschaftlichen Veranstaltungen Rechtsextremisten haben in den vergangenen Monaten wiederholt versucht, sich unbemerkt unter gesellschaftliche Großveranstaltungen zu mischen, um so auf subtile Weise ihre politischen Botschaften zu verbreiten. Sie knüpfen damit an die u. a. vom ehemaligen NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt propagierte Wortergreifungsstrategie an, nach der sich Rechtsextremisten unauffällig an öffentlichen Veranstaltungen beteiligen und diese als Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen sollen. In Gersthofen, München, Ellingen und Neuötting gelang es kostümierten Neonazis, durch die Verwendung unverfänglicher Gruppenbezeichnungen an Faschingsumzügen teilzunehmen und Propagandamaterial zu verteilen. Auf den Flugblättern befanden sich Verweise auf die neonazistischen Internetseiten des Freien Netz Süd bzw. des Infoportals Schwaben. Bei der Landshuter Hochzeit mischten sich Rechtsextremisten unter die Besucher und verteilten Flyer; diese warben unter dem Motto Der Narr sagt dem König die Wahrheit für eine Internetseite, auf der ein von den Rechtsextremisten selbst produziertes Video eingestellt ist, das die Demokratie verunglimpft. Diese neuen Aktionsformen bieten Rechtsextremisten den Vorteil, dass eine behördliche Anzeige oder Anmeldung in der Regel nicht notwendig ist und dadurch das Risiko eines vorherigen Verbots oder Ausschlusses verringert wird. Zudem lassen sich die Aktionen mit vergleichsweise wenigen Personen durchführen. Dies ermöglicht ein weitgehend unbemerktes Vorgehen und verringert die Gefahr, im Vorfeld aufzufallen. Andererseits garantieren solche Aktionen eine große öffentliche Wirkung.

7 - 7 - Vereinsrechtliche Maßnahmen gegen das neonazistische Freie Netz Süd Am 10. Juli fand die bislang größte vereinsrechtliche Aktion gegen Rechtsextremisten in Bayern statt. Insgesamt wurden 73 Objekte durchsucht, darunter Wohnungen, Arbeitsstätten und Postfächer. Bei den Betroffenen handelt es sich um führende Akteure des Freien Netz Süd (FNS), Führungsfiguren der ihm zurechenbaren Kameradschaften und weitere herausgehobene Aktivisten der rechtsextremistischen Szene in Bayern mit Verbindungen zum FNS. Das FNS stellt in erster Linie eine Mobilisierungsplattform und ein Informationsportal dar. Es hat sich seit seinem Entstehen im November 2008 zum größten neonazistischen Netzwerk in Bayern entwickelt. Ziel ist eine Vernetzung der gesamten bayerischen Neonazi-Szene. Auf der Internetseite werden Termine angekündigt, für regionale und überregionale Veranstaltungen geworben, Aktionsberichte veröffentlicht und auf andere Kameradschaften und Gruppierungen verlinkt. Das FNS hat damit nicht nur eine Integrationswirkung, sondern ermöglicht und befördert die Aktionsfähigkeit der hinter ihm stehenden Akteure und Kameradschaften. Hinter dem FNS stehen rund 100 bis 150 Aktivisten, wobei das Mobilisierungspotenzial bei etwa 300 Personen liegt. Ziel der vereinsrechtlichen Ermittlungen ist der Nachweis, dass das FNS verfassungswidrige Bestrebungen als Ersatzorganisation der vom Bayerischen Staatsministerium des Innern Anfang 2004 verbotenen Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.) fortführt. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen konnte umfangreiches Beweismaterial sichergestellt und beschlagnahmt werden, neben Propagandamaterial insbesondere eine große Zahl an elektronischen Datenträgern: darunter 77 PCs, 51 externe Festplatten, 86 USB-Sticks, 45 Speicherkarten, 138 Handys sowie CDs und DVDs. Das Bruttodatenvolumen beträgt rund 130 Terabyte. Das umfangreiche Beweismaterial erfordert eine intensive Auswertung. Die Reaktionen der rechtsextremistischen Szene blieben bislang verhalten. Offenbar haben die breit angelegten Maßnahmen die Szene spürbar verunsichert.