Segelflosser aus dem Rio Tocantins Schmuckstücke unter den Buntbarschen 1. Teil

Transkript

1 Segelflosser aus dem Rio Tocantins Schmuckstücke unter den Buntbarschen 1. Teil Friedhelm Stetter und Sylke Kucharkowski Pterophyllum scalare aus dem Rio Tocantins - Foto: F. Stetter Zwei Autoren - ein Bericht? Wo jeder doch seine ganz subjektiven Eindrücke und Erfahrungen sammelt und anderen DCG-Freunden mitteilen will! Auch wir mußten uns erst an diesen Gedanken gewöhnen und wollten dann aber doch das Wagnis eingehen. Was zunächst über die Kontaktaufnahme nach einem Artikel von Sylke Kucharkowski und über regen schriftlichen Austausch begann, mündete dann in einer echten Zusammenarbeit zweier DCG-Mitglieder. Dies ist aber nur der Rahmen. Hauptdarsteller dieses Berichts sind wunderbare Fische, die aus dem Amazonas-Stromgebiet zu uns in die heimischen Aquarien gefunden haben. Es geht um Segelflosser, Pterophyllum scalare. Alte Bekannte - nichts Aufregendes

2 werden manche LeserInnen denken. Und es wird wohl nur wenige DCG-Mitglieder geben, die nicht irgendwann einmal in ihrem Aquarianerleben mit Segelflossern als Hausgenossen zu tun hatten. Was soll man also über diese Buntbarsche, die man überall für ein paar Euro erwerben kann, berichten? Aber wie so oft steckt die Besonderheit im Detail - und alte Bekannte sind manchmal doch die besten. Das mag für Menschen ebenso wie für unsere tierischen Begleiter gelten. Weil dies zwar ein Bericht ist, dennoch aber subjektive Sichtweisen und auch verschiedene zeitliche Sequenzen vorgestellt werden, werden wir nicht allgemein von die Autoren" oder einer der Autoren" sprechen, sondern haben uns darauf verständigt, daß zunächst Dr. Friedhelm Stetter, der vor gut drei Jahren mit der Pflege und Zucht der Segelflosser aus dem Rio Tocantins begann, seinen Beitrag leistet und dann Sylke Kucharkowski in ihrer den Leserinnen der DCG-Informationen schon bestens bekannten Art und Weise liebevoll und detailgetreu über die Paarbildung dieser Cichliden berichtet. Pärchen des Segelflossers, Pterophyllum scalare, aus dem Rio Tocantins - Foto: F. Stetter Als ich (F. S.) im Spätsommer 1999 bei meinem Zoohändler in Rinteln neben einigen Maronibuntbarschen, Cleithracara maronii, auch Segelflosser erwerben

3 wollte, nahm dieser mich beiseite und zeigte mir hinter den Schaubecken einige etwa zweieurostückgroße Fische. Das sind Segelflosser aus dem Rio Tocantins!" meinte er etwas geheimnisvoll. Da mir das nichts sagte, malte er kurz den Lauf des Amazonas auf und skizzierte dann den letzten von Süden kommenden Nebenfluß vor dem unteren Amazonasbecken. Bei Stawikowski und Werner (1998) kann man dann genauer lesen, daß dieser Amazonaszufluß im Oberlauf Stromschnellen und Felsen aufweist. Die Rotfärbung der Rückenpartie ist für viele Segelflosser aus dem Rio Tocantins typisch - Foto: F. Stetter Möglicherweise ist die Wasserbeschaffenheit - ebenso wie die Hoch- und Niedrigwasserzeiten - mit dem Rio Tapajós vergleichbar. Dann würden sich ph- Werte zwischen 4,6 und 6,6 und die bekannt niedrigen Härtewerte (0 bis 0,3 KH; 0,3 bis 0,8 dgh) dort finden lassen und die elektrische Leitfähigkeit würde im Bereich von 15 bis 30 µs/cm liegen. Es dürfte sich - zumindest grob charakterisiert - um einen Klarwasserfluß mit einer Sichttiefe von bis zu vier Metern handeln. Von dorther sollten also unsere Rio-Tocantins-Segelflosser kommen - obgleich ja doch in den meisten Fällen nicht so hundertprozentig sicher ist, ob diese Fische wirklich

4 daher stammen und wenn doch, wo genau die Fundorte sind, was für Biotop- Betrachtungen ausschlaggebend wäre. Welcher Fänger, der einen neuen" Fisch anbieten kann, wird schon verraten, wo genau er diese Tiere fängt? Zurück nach Deutschland. Mein Zoofach Händler riet mir also zum Kauf dieser Wildfang- Nachzuchten (F1-Generation) der Rio-Tocantins-Segelflosser und ich griff zu. Ohne hier einen wissenschaftlichen Nachweis antreten zu wollen, gehe ich davon aus, daß es sich um eine Standortvariante von Pterophyllum scalare handelt. Als die Fische heranwuchsen, zeigte sich, was für Schmuckstücke es waren. Einige bekamen kleine rot-braune Punkte - besonders im Rückenbereich, die mit zunehmendem Alter immer dichter wurden und zu einer rotbraunen, fast golden schimmernden Rückenpartie führten. Bei einem anderen Fisch dominierten bläulich-grüne Farbschimmer - besonders im Flossenbereich und unterhalb des Rückens. Vermutlich handelt es sich bei der Ausprägung eher roter oder eher bläulich-grüner Farbvarianten um einen Polychromatismus (Vielfarbigkeit). Dies macht aber deutlich, wie spannend es sein kann, die ohnehin schon außerordentlich eleganten Segelflosser genauer zu betrachten. Auch bildeten sich besonders bei den Männchen diskrete - durchaus noch ästhetischen Proportionen entsprechende -Stirnbuckel aus, welche die Fische zu imposanten Erscheinungen machen. Die Proportionen vom Körper selbst sind harmonisch und beeindruckend ist auch das ästhetische Verhältnis von Körpergröße zu Flossenspannweite. Natürlich kommen die Rio-Tocantins-Segelflosser in dieser Hinsicht nicht an Pterophyllum altum heran, sind aber dennoch als ausgesprochen formschön anzusprechen.

5 Männchen mit charakteristischem Stirnbuckel - Foto: F. Stetter Bereits im Frühjahr 2000 hatte sich ein Paar gebildet und ich konnte mit der Zucht beginnen, wobei ich sowohl künstlich" als auch einmal natürlich" aufzog. Ich plante, einige Fische später mit Diskusfischen zu vergesellschaften, die aus der Zucht von Manfred Göbel stammten und parasitenfrei" aufgezogen waren. Daher untersuchte ich einige der Nachzuchttiere, die aufgrund von Deformationen abgetötet worden waren. Sie hatten keine Flagellaten im Darm und in anderen inneren Organen. Möglicherweise war dies durch die Fütterung mit Artemia- Nauplien in den ersten Lebenstagen erreicht worden, die mit einem handelsüblichen Antiprotozoikum geboostert" worden waren, so wie Menauer (1996) dies vorgeschlagen hatte. Vielleicht waren aber auch schon die Elterntiere nicht mit Flagellaten befallen gewesen. Auch andere Groß-Parasiten" fanden sich nicht - wohl aber einige Dactylogyrus sp. in den Kiemen ( Kiemenwürmer"). Es sei aber - auch im Hinblick auf die Beiträge der Herren Hessberger und Schmitz in früheren Ausgaben der DCG-Informationen - angemerkt, daß man eigentlich nicht von parasitenfreien" Tieren sprechen sollte. Denn was unsere Fische an Parasiten oder fakultativ pathogenen Kommensalen so alles mit sich tragen, läßt sich durch unsere - letztlich immer noch grobrastrigen - Untersuchungen nicht wirklich komplett erfassen. Man denke nur an virale Infektionen.

6 Bei den Weibchen aus dem Rio Tocantins ist der Stirnbuckel nur angedeutet - Foto: F. Stetter Seit inzwischen einem Jahr gelingt völlig problemlos die Vergesellschaftung mit Diskusbuntbarschen, worauf ja auch schon der DCG-Freund Hessberger hingewiesen hatte. Zurück zu den Rio-Tocantins-Segelflossem, die schließlich nach dem Augenschein (und auch nach mikroskopischen Untersuchungen) gesund wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser waren. Sie fraßen so ziemlich alles was ihnen geboten wurde. Übrigens sei erwähnt, daß wann immer sich Algen im Aquarium fanden, bei den mikroskopischen Kotuntersuchungen Algenreste zu finden waren. Auch wenn es denkbar ist, daß die Fische diese beim Abweiden" von Algenrasen zufällig aufnehmen, ist es wahrscheinlicher, daß Segelflosser offenbar auch pflanzliche Kost gezielt zu sich nehmen. Mit den Wasserwerten hatten wir nicht den Ehrgeiz, den Rio Tocantins nachzuahmen, aber als Orientierung wurden doch elektrische Leitfähigkeiten zwischen 120 und 200 µs/cm, sowie saure Wässer mit einem ph- Wert zwischen 5,5 und 6,5 angestrebt. Schon die Formulierung uns" und wir" im letzten Abschnitt soll Sie, liebe Leserin und lieber Leser darauf vorbereiten, daß die Berichtsstafette" jetzt weitergegeben wird, und fortan Sylke Kucharkowski über das berichten wird, was sie mit unseren" Segelflossern der F1- Generation erlebt hat.

7 Diskus und Segelflosser in einem Aquarium. Noch vor einigen Jahren eine selten gesehene Vergesellschaftung, heute keineswegs mehr die Ausnahme - Foto: F. Stetter Literatur (Schluss folgt) Stawikowski. R.. & U. Werner (1998): Die Buntbarsche Amerikas. Band 1. Stuttgart. Menauer, N. (1996): Flagellatenfreie Diskuszucht. In: Diskus. DATZ-Sonderheft. Stuttgart.