Bernd Schirmer WEINVERKOSTUNG
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- Günter Schumacher
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1 Bernd Schirmer WEINVERKOSTUNG 1
2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1994 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: 2 henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1
3 PERSONEN Benndorf 3
4 ERSTE SZENE Wohnung, Wohnzimmer. Links angrenzend: Schlafzimmer. Rechts angrenzend: Küche. Hinten: Tür zum Flur. (Mit einer Kaffeetasse aus der Küche kommend, zur offenen Schlafzimmertür hinüberrufend.) Harald? (Keine Antwort.) Harald! (Keine Antwort. geht in die Küche zurück. Stille. Tellerklirren. kommt aus der Küche heraus und geht ärgerlich auf das Schlafzimmer zu.) Steh jetzt endlich auf! Weißt du, wie spät es ist? (Aus dem Schlafzimmer keine Reaktion. geht in den Flur und zieht den Mantel über. Dann packt sie hektisch ihre Siebensachen in die Handtasche. kommt aus dem Schlafzimmer, im Pyjama, verschlafen, gähnend.) Weißt du, was ich geträumt habe? Ich muß los. In der Kanne ist noch Kaffee. Und vergiß nicht, die Goldfische zu füttern. Es war in einem Wald, es war ganz finster, aber es war kein richtiger Wald, es war irgendwie merkwürdig - (Während in den Schränken herumsucht, geht in die Küche und kommt mit einer Flasche Selters zurück.) Irgendwie merkwürdig. Kein richtiger Wald. Und stockfinster. Aber trotzdem hatte ich das Gefühl von Wald. Ob das was zu bedeuten hat, was meinst du? Ich hab dir ein sauberes Hemd rausgelegt. Und die grüngestreifte Krawatte. ( hat ein Glas aus dem Schrank geholt. Er gießt sich Selters ein und trinkt.) Wann ist der Termin? Was für ein Termin? Harald? Ja? Du mußt dich heute vorstellen. Heute ist der Dreiundzwanzigste. Die Bewerbung! Ich geh da nicht hin. Was soll das heißen: Ich geh da nicht hin. Ich geh da nicht hin. 5
5 Aber du mußt hingehen! Um mir sagen zu lassen, daß sie mich nicht nehmen? Das hätten sie dir schriftlich mitgeteilt. Du bist in der engeren Wahl! (Auflachend.) In der engeren Wahl! - Hast du mir aufgeschrieben, was ich alles einkaufen soll? Herrgott! Ich hab mich auch siebenunddreißigmal beworben! Und beim siebenunddreißigstenmal - Ich muß jetzt los! (Sie geht in den Flur, setzt den Hut auf, kommt noch einmal zurück.) Eines will ich dir sagen! Wenn du nicht hingehst - Ja? Es ist d i e Chance! Es ist vielleicht deine letzte Chance! Wenn du diesmal nicht hingehst - Ja? Was ist dann? Was ist, wenn ich nicht hingehe - (Sie ergreift ihre Handtasche und geht wütend hinaus und verläßt die Wohnung. Die Flurtür fällt ins Schloß. sieht ihr nach und trinkt Selters.) ZWEITE SZENE Wohnung. Wohnzimmer, ähnlich dem der Familie, doch seitenverkehrt. Links angrenzend: Küche, Rechts angrenzend: Schlafzimmer. kommt aus der Küche, zieht sich im Flur den Mantel über und packt hektisch ihre Siebensachen in die Handtasche., die aufgeschlagene Zeitung in den Händen, kommt aufgebracht aus der Küche.! Kannst du mir sagen, was das soll?? - Du bist ja wie von der Tarantel gestochen! Dieses Inserat hier! Seit wann liest du Inserate? Glaubst du vielleicht, du findest einen besseren Job über Inserate? (Vorlesend.) Kätzchen sucht Kater, dienstags und freitags ab 18 Uhr. Was starrst du mich denn so an? Kannst du mir erklären, wieso hier unsere Telefonnummer steht? Ich muß jetzt los! Dieser Aufpasser-Typ bei Aldi! Wer dreimal zu spät kommt, fliegt. 6
6 Halt! Erst wirst du mir erklären - Der hat mich sowieso auf dem Kieker!! Beruhige dich. Du bist doch um diese Zeit sowieso unterwegs. Ist das hier ein Stundenhotel oder was? Beruhige dich! Das darf doch nicht wahr sein. Sag, daß das nicht wahr ist! (Er packt sie und schüttelt sie.) Laß mich los! (Sie reißt sich los.)! Das ist auch meine Wohnung! Und wovon wollen wir sie bezahlen? Und das Auto? Und die Kredite? Von deiner beschissenen Provision? Die reicht ja nicht mal für deine beschissenen Krawatten! Werde nicht ordinär! Glaubst du vielleicht, wenn du die passende Krawatte zum passenden Hemd trägst, du verkaufst auch nur eine Flasche mehr? Dann müssen wir eben eine kleinere Wohnung nehmen. Ich denke nicht daran. Eher prostituierst du dich, ja? Herrgott! Wir haben uns vierzig Jahre prostituiert. Warum nicht mal auf vergnüglichere Art? Und das kannst du, ja? Das kannst du? Antworte! (Sie sucht noch etwas und steckt es in ihre Tasche.) Wie lange geht das schon? Ich muß los. Zweimal war ich schon zu spät. Wenn ich fliege, liegts an dir! Du hast mir allerlei zugemutet in den paar Jahren. Aber das ist einfach - das Letzte! (Sie geht hinaus, winkt ihm noch einmal zu und verläßt die Wohnung.) 7
7 DRITTE SZENE Wohnung. hat sich angekleidet und schaltet den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm ein Aquarium, dazu klassische Musik, Schuberts Forellenquintett. Da ihm diese Musik unpassend zu den langsamen Bewegungen der Fische erscheint, dreht er den Ton weg und legt eine CD ein, ein Klavierkonzert von Chopin, langsamer Satz. Er hört eine Weile der Musik zu und betrachtet die Fische im Bildschirm- Aquarium. Dann geht er zu dem Aquarium, das auf dem Regal steht, betrachtet auch diese Fische längere Zeit und schüttet schließlich ein wenig Futter ins Wasser. Mit der Tüte begibt er sich dann zum Fernsehapparat, unschlüssig, ob er diese Fische nicht gleichfalls füttern sollte. Es klingelt. geht in den Flur und öffnet die Wohnungstür. Vor der Tür steht neben einem großen Koffer. Herr? Ja -? Guten Tag, Herr. Ich komme von Dupont. Dupont? Firma Pierre Dupont. Beaujolais- und Bourgogne-Weine. En gros und en détail. Exklusiv. (Sein Französisch ist schauderhaft, er kann kaum die Nasale artikulieren.) Ich verstehe nicht - Hier ist unsere Karte. Bitteschön. (Lesend, in gestochenem Französisch.) Pierre Dupont. Bourgogne. Beaujolais. Haute-Rhone. Alsace. Ja und? Sie hatten sich an unserem Preisausschreiben beteiligt. Ich habe mich in letzter Zeit an sehr vielen Preisausschreiben beteiligt. Sie haben einen Korkenzieher gewonnen. Ah - ja? Und den wollen wir Ihnen heute überreichen. In aller Form. Oder störe ich? Nein, nein, Herr - Dupont. Mein Name ist. Ich bin der Vertreter. Kommen Sie doch herein. ( schleppt den Koffer ins Wohnzimmer und sieht sich um.) Schöne Wohnung. 8
8 Leider nicht aufgeräumt. Ich bin nicht auf Besuch eingestellt. Und schöne Musik. Meine Frau hört auch immer diese Musik. Ich persönlich - na ja. Ich mache mir nichts aus Mozart. Es ist Chopin. Nehmen Sie doch Platz. Zu einer schönen Wohnung gehört ein guter Wein. Und zu dieser Musik. Es sind natürlich keine Weine vom Supermarkt. Es sind Spitzenweine. Ah - ja? (Öffnet den Weinkoffer.) Ist nur ein kleiner Teil unserer Kollektion. (Stellt mehrere Flaschen auf den Tisch.) Aber vielleicht gebe ich Ihnen erst einmal Ihr Präsent. Die Firma Pierre Dupont wünscht Ihnen viel Freude mit diesem Korkenzieher. Der Griff ist aus Olivenholz. Alles original. Danke. Dankeschön. Verpflichtet natürlich zu nichts. Aber wenn Sie vielleicht ein Glas hätten? Unsere Firma rechnet es sich hoch an, daß ihre Kunden nicht die Katze im Sack kaufen. Sozusagen. Trinken Sie lieber rot oder weiß? Je nachdem. Jetzt, da Weihnachten vor der Tür steht - Sind aber noch ein paar Monate. Trotzdem. Weihnachten steht ja immer vor der Tür. Sozusagen. (Lacht, hält dann plötzlich inne.) Darf ich dieses Glas -? Vielleicht fangen wir mit dem weißen an. (Zieht den Korken heraus und schenkt das Glas halbvoll.) Bitte. Ich möchte nicht. Danke. Es ist völlig unverbindlich. Nein, danke. Wirklich nicht. Ein guter Château Laffitte. (Spricht es nicht ganz richtig aus, aber auch nicht ganz falsch.) Mit Appellation. Zwölf Prozent. Wird sehr gern getrunken. Sie kommen im denkbar ungünstigsten Moment. Leicht. Bekömmlich. Fruchtig. Wenig Säure. Vielleicht ein andermal. Aber das hätten Sie gleich sagen können. Da packe ich hier die ganze Kollektion aus. Da lassen Sie mich einschenken - 9
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