Alexander Ostrowski DER WALD. (Originaltitel: Les) Komödie in 5 Akten. Aus dem Russischen von Günter Jäniche

Transkript

1 Alexander Ostrowski DER WALD (Originaltitel: Les) Komödie in 5 Akten Aus dem Russischen von Günter Jäniche 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2000 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 PERSONEN Raïssa Páwlowna Gurmýshskaja, Witwe, Anfang Fünfzig, sehr reiche Gutsbesitzerin, kleidet sich bescheiden, beinahe wie in Trauer, hat stets eine Schatulle bei sich. Axínja Danílowna (Axjúscha), ihre entfernte Verwandte, armes Mädchen, an die Zwanzig, ärmlich aber sauber gekleidet, nur wenig besser als ein Stubenmädchen. Jewgéni Apollónytsch Milónow, etwa fünfundvierzig, glatt gekämmt, ausgesuchte Kleidung, rosa Halstuch. Reicher Nachbar der Gurmyshskaja. Uar Kiríllytsch Bodájew, etwa sechzig, Kavallerieoffizier a. D., kurzgeschnittenes graues Haar, Schnurrbart und Backenbart üppig, schwarzer, hochgeschlossener Gehrock mit militärischen Orden und Medaillen, in der Hand einen Krückstock, etwas schwerhörig. Reicher Nachbar der Gurmyshskaja. Iwán Petrówitsch Wossmibrátow, Holzhändler. Pjotr, sein Sohn. Alexéj Sergéjewitsch Bulánow, junger Mann, der das Gymnasium nicht beendet hat. Gennádi Unglücklich, Tragöde. Arkádi Glücklich, Komiker., Lakai der Gurmyshskaja. Ulíta, Haushälterin. Terjónka, Wossmibratows Laufjunge. 3

4 ERSTER AKT Besitzung der Gurmyshskaja, etwa fünf Werst von der Kreisstadt entfernt. Ein großer Saal. Hinten zwei Türen; eine nach draußen, die andre ins Speisezimmer; rechts vom Zuschauer Fenster und Tür zum Garten; links zwei Türen; eine zu den inneren Räumen, die andre zum Vorsaal. Wertvolle alte Möbel, Pflanzengitter, Blumen, am Fenster ein Nähtischchen, links ein runder Tisch und einige Stühle. Erster Auftritt steht an der Tür zum Garten. tritt ein. Raïssa Pawlowna hat mich rufen lassen? Das hat sie; aber soeben sind Gäste gekommen, und da ist sie jetzt im Garten. (Zieht einen Brief aus der Tasche.) Sag mal,, könntest du vielleicht Ja? etwas überbringen? Du kennst den Empfänger. Also, ich weiß nicht. Fräulein! Das geht jetzt wirklich nicht mehr. Ob recht oder nicht, die Tante wünscht, daß Sie den jungen Herrn nehmen. Dann eben nicht; wie du willst. (Wendet sich ab zum Fenster.) Geben Sie schon her. Ihnen zuliebe seis drum (Nimmt den Brief.) Hat Raïssa Pawlowna den Wald verkauft? An Iwan Petrowitsch. Alles verkaufen wir, und warum? Damit den Erben nichts bleibt; bares Geld verschenkt sich an Fremde besser. So wird es sein. Wunderliche Welt. Es heißt, das Geld für den Wald soll meine Mitgift sein. Wolls Gott! (Sehr ernst.) Gott verhüte das,! 5

5 Sie müssen es ja wissen. Ich meine nur, besser wärs, das Geld fließt in die Mitgift und nicht dahin wie das übrige. Das übrige wohin fließt das übrige? Also, davon verstehen Sie noch nichts, Fräulein, und meine Zunge sträubt sich, es Ihnen zu erklären. Alexej Sergejitsch kommt. (Tritt von der Tür zurück.) ( schaut zum Fenster hinaus. tritt ein.) Zweiter Auftritt,,, später Ulita. (Zu.) Na, hast du mir die Papyrossy gestopft? Nein. Wieso nicht? Ich hatte es dir befohlen. Na wenn schon. Wann hab ich denn Zeit? Nein, was ihr euch alle herausnehmt. So. Das sage ich Raïssa Pawlowna. Sie werden ihr gar nichts sagen; wo Sie sich in ihrer Gegenwart doch nicht mal getrauen zu rauchen. Getraue ich mich nicht Daß mir die Papyrossy gestopft werden! Muß man alles erst zehnmal sagen! (Sieht, geht zu ihr und legt ihr lässig den Arm um die Schulter.) (Dreht sich schnell um.) Was erlauben Sie sich! Sind Sie bei Trost? (Eingeschnappt.) Ach!! Entschuldigen Sie! Ich wußte nicht, daß Sie eine Herzogin sind, schöne Dame! (Beinahe unter Tränen.) Warum kränken Sie mich? Ich habe Ihnen nichts getan. Bin ich denn hier ein Spielzeug für alle? Ich bin genau so ein Mensch wie Sie. (Gleichgültig.) Nein, wirklich? Sie gefallen mir. 6

6 Ach, ist mir doch egal! Welches Recht haben Sie, mich anzufassen? Wieso sind Sie dauernd so grundlos aufgebracht? Aufgeblasene Person! Läßt sich nicht anfassen! Was einem gehört, soll man nicht anfassen dürfen? Wer will mir das verbieten? (Streng.) Und was nicht Ihnen, sondern einem andern gehört? Was ist damit? Albernes Getue. Widerlich. Nur weiter so, Sie verderben noch die ganze Sache. Was für eine Sache? Was Als ob Sie das nicht wüßten? Raïssa Pawlowna wünscht, daß ich Sie heiraten soll. Und was Raïssa Pawlowna wünscht Hat zu geschehen? Versteht sich. Wir sind beide arm Sollen wir abwarten, bis man uns davonjagt? Untertänigsten Dank. Wohin mit mir? Zurück zur Mama? Dasitzen und auf gut Wetter warten? Nicht so laut, Herr! Ulita kommt. (Ulita kommt und sucht etwas.) Was haben Sie hier verloren? Ulita Ich glaube, ich habe was vergessen Nichts haben Sie vergessen, tun Sie nicht so. Sie haben Ihr eignes Reich, dort stöbern wir auch nicht rum. (Ulita geht.) Na also! Verfluchtes Weib! Glatte Rechnung; versteht jeder. Ja, ich verstehe sie. Was soll dann das Gesträube? Vor wem spielen Sie hier die Unnahbare? Raïssa Pawlowna hat uns viel Geld versprochen; was wollen Sie mehr? Danken Sie dem Himmel. 7

7 Bulatow Das eine läßt sich kaufen, das andere nicht. (Geringschätzig lächelnd.) Philosophie! (Ernst.) Sie wissen nicht, was das ist Geld. Offenbar haben Sie noch keine Not kennengelernt? Vor uns liegt ein angenehmes Leben Für Geld verkaufen die Menschen dem Teufel ihre Seele, und wir sollen nein sagen? (Ulita zeigt sich.) Ulita Was schleichen Sie hier rum? Hier gibts nichts zu schnüffeln. Zimmer sind geputzt. Ich werde hier wohl noch rein dürfen! Finden Sie keine Ruhe? Fegen rum wie eine angesengte Katze. Warten Sie, bis Sie gerufen werden. (Ulita geht.) Sie können mich nicht zwingen, Alexej Sergejitsch. Ich kriege immer, was ich will; Sie entkommen mir nicht. Einen bessren als mich finden Sie hier nicht. (Leise.) Da irren Sie sich. Würde ich suchen, fände ich einen; vielleicht habe ich ihn schon gefunden. (Zu.) Sollte Raïssa Pawlowna nach mir fragen, ich bin in meinem Zimmer. (Geht.) Dritter Auftritt,. (Geht zu ihm.) Ach Herr, ach Herr! Ja und,? Sie sind noch sehr jung. Ich weiß, daß ich jung bin. Das ist nicht gut. Was soll ich denn machen? 8

8 Das geht nicht gut aus für Sie Wenn Sie sich Mühe geben Ich kann mir noch so Mühe geben, älter werde ich davon nicht; ich habe das Gymnasium so gut wie beendet. Ach was, Gymnasium! Andre Leute haben kein Gymnasium gesehen, und wie tüchtig sind sie. Worin tüchtig? In allem. Besonders, wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet. (Ulitakommt aus dem Korridor.) Schon wieder? Pfui Teufel! Verschwinde, aufdringliches Weib! Ulita (Zieht sich zurück.) Grober Klotz! (Nachdenklich.) So? Und weiter? Von wegen: So. Warum belästigen Sie das Fräulein? Was haben Sie davon? Immerhin Sehen Sie sich vor, Herr: Ulita schleicht nicht umsonst hier rum, sie tratscht alles weiter. Was wird die gnädige Frau dazu sagen? Noch ist nicht gewiß, was sie mit Ihnen vorhat. Sie ist zwar eine Gnädige, trotzdem auch bloß eine Frau: Niemand weiß, was in ihrem Kopf vorgeht. Heute so, morgen anders. Frauen ändern ihre Meinung nicht siebenmal die Woche, sondern siebenmal am Tag. Sie sagen: heiraten; aber sie zwingt Sie vielleicht, ganz andres zu tun! Eignen Willen können Sie sich doch keinen leisten. Sie werden hier durchgefüttert, weil Ihre Mutter arm ist Und da wollen Sie Machen Sie sich auf alles mögliche gefaßt. Gefaßt? Aber ja. Auf Schritt und Tritt. Sie sind doch von ihr abhängig Und mit der Zeit, das ergibt sich aus Gesprächen oder so, werden Sie Wind bekommen Die Gnädige. (Geht ab.) ( streicht sich das Haar glatt und zwirbelt sein Schnurrbärtchen. Gurmyshskaja, Milonow und Bodajew kommen.) 9