BGH, Beschl. v. 26. November 1970, BGHSt 24, 31 Verkehrsunfall
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1 BGH, Beschl. v. 26. November 1970, BGHSt 24, 31 Verkehrsunfall Sachverhalt: Toni fährt mit einem Blutalkoholgehalt von 2,0 Promille mit 120 km/h durch die Straßen von Berlin. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h. In einem Wohngebiet torkelt plötzlich der vollkommen betrunkene Otto auf die Fahrbahn und wird von Tonis Auto überfahren und getötet. Toni wendet im nachfolgenden Prozess ein, dass Otto so plötzlich zwischen zwei parkenden Autos auf die Straße fiel, dass er ihn auch in nüchternem Zustand unter Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit tödlich überfahren hätte. Diese Behauptung lässt sich im Prozess weder beweisen, noch ist sie widerlegbar. Thema: Pflichtwidrigkeitszusammenhang; rechtmäßiges Alternativverhalten Materialien: Arbeitsblatt Examinatorium AT Nr. 34
2 Lösungsübersicht: A. Strafbarkeit Tonis gemäß 222 StGB I. Tatbestand 1. Erfolg (+) 2. Kausale Handlung (+) (Tod wurde durch Anfahren verursacht) 3. Sorgfaltspflichtverletzung (+) (absolute Fahruntauglichkeit; überhöhte Geschwindigkeit) 4. Objektive Zurechnung, Pflichtwidrigkeitszusammenhang str.! Problem: Rechtmäßiges Alternativverhalten a) Kausalitätstheorie (Handlung genügt als conditio sine qua non) (+) b) Risikoerhöhungslehre: Umkehr der Beweislast (+) c) Pflichtwidrigkeitstheorie (in dubio pro reo: Erfolg wäre sowieso eingetreten) ( ) [falls Tatbestand bejaht wird: II./III. Rechtswidrigkeit, Schuld (+)] B. Strafbarkeit Tonis gemäß 315c I Nr. 1 a), III StGB I. Objektiver Tatbestand 1. Fahren trotz Fahruntüchtigkeit (+) 2. Gefahrverursachung: Gefährdung von Leib und Leben eines anderen (+) 3. Spezifischer Gefahrzusammenhang ( ) (wie 222 StGB) [falls Gefahrzusammenhang bejaht wird: II. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, 315c III StGB (+) III. Rechtswidrigkeit, Schuld (+)] C. Strafbarkeit Tonis gemäß 316 StGB (+)
3 Lösungsvorschlag: A. Strafbarkeit Tonis gemäß 222 StGB Toni könnte sich dadurch, dass er in betrunkenem Zustand und mit überhöhter Geschwindigkeit den Otto überfuhr, wegen einer fahrlässigen Tötung strafbar gemacht haben. I. Tatbestand Toni müsste den Tatbestand des 222 StGB erfüllt haben. 1. Erfolg Otto ist tot. Somit ist der tatbestandliche Erfolg eingetreten. 2. Kausale Handlung Tonis Handlung kann vorliegend auch nicht hinweggedacht werden, ohne dass der tatbestandliche Erfolg, Ottos Tod, in seiner konkreten Gestalt entfiele ( conditio-sine-qua-non -Formel). Das Führen des Kfz durch Toni ist mithin kausal für Ottos Tod. 3. Sorgfaltspflichtverletzung Zudem ließ Toni die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht, in dem er mit einem Blutalkoholgehalt von 2,0 Promille fuhr und somit absolut fahruntauglich war. Außerdem fuhr er mit 120 km/h innerhalb einer Ortschaft zu schnell. 4. Objektive Zurechnung Fraglich ist jedoch, ob Toni der Tod Ottos auch objektiv zurechenbar ist. Dies setzt voraus, dass zwischen der sorgfaltswidrigen Handlung und dem Erfolgseintritt ein Zusammenhang bestand (Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Dies ist unter anderem dann zweifelhaft, wenn der Täter auch bei pflichtgemäßem Verhalten den Erfolg nicht hätte vermeiden können, der Erfolgseintritt also gerade nicht auf der Fahrlässigkeit beruhte. Im vorliegenden Fall ist weiterhin problematisch, dass die Frage
4 des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs laut den Angaben im Sachverhalt später nicht aufgeklärt werden konnte. Es ist umstritten, wie der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens seitens des Toni zu berücksichtigen ist: Nach der reinen Kausalitätstheorie haftet der Täter für den durch sein pflichtwidriges Verhalten verursachten Erfolg unabhängig davon, ob dieser auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre oder nicht. Denn denke man im Rahmen der conditio-sine-qua-non -Formel die pflichtwidrige Handlung als Ganzes hinweg, würde auch der Erfolg entfallen, was ausreichen müsse. Hiernach wäre Toni also selbst dann strafbar, wenn der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, da selbst der gelungene Nachweis rechtmäßigen Alternativverhaltens den objektiven Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts nicht ausschließen würde. Dieser Ansatz ist aber abzulehnen, da es nicht nachvollziehbar ist, warum der Täter selbst in solchen Fällen strafbar sein soll, in denen feststeht, dass sein Verhalten zwar pflichtwidrig war, er das Risiko jedoch nicht gesteigert, in Einzelfällen vielleicht sogar verringert hat. Vielmehr würde hierdurch der (an sich überwundenen) Erfolgshaftung (versari in re illicita) wieder zur Geltung verholfen, wonach derjenige, der etwas Verbotenes tut, für sämtliche Folgen einstehen muss, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Die Risikoerhöhungslehre hingegen geht davon aus, dass dem Täter der Erfolg jedenfalls dann nicht zugerechnet werden kann, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Diesen Nachweis müsse der Täter jedenfalls dann erbringen, wenn sein Verhalten zu einer das Maß des erlaubten Risikos erheblich übersteigenden Gefährdung geführt hat. Dann müsse er konkret beweisen, dass der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten mit Sicherheit eingetreten wäre, eine bloße Möglichkeit reiche hierfür nicht aus. Sorgfaltspflichten seien nämlich auch dann zu beachten, wenn nicht sicher wäre, ob dadurch auch wirklich Gefahren vermieden werden könnten oder nicht. Wer aber eine das erlaubte Risiko übersteigende Gefahrerhöhung herbeiführe, müsse sich den Erfolg zurechnen lassen, außer es gelinge ihm nachzuweisen, dass die erhöhte Gefährdung sich eben im konkreten Erfolg nicht realisiert hat. Da es Toni vorliegend nicht gelingt, mit Sicherheit nachzuweisen, dass der Erfolg auch in nüchternem Zustand und bei langsamerer Fahrt eingetreten wäre, läge eine Fahrläs-
5 sigkeitstat vor. Diesem Ansatz ist aber entgegenzuhalten, dass dann, wenn allein eine Gefahrerhöhung für die Erfolgszurechnung ausreichen würde, die normalen Verletzungsdelikte letztlich zu Gefährdungsdelikten umgestaltet würden. Zudem läge hier eine Umkehr der Beweislast vor, wodurch gegen den Grundsatz in dubio pro reo verstoßen würde. Die Risikoerhöhungslehre ist demnach ebenso abzulehnen. Die Pflichtwidrigkeits- oder Vermeidbarkeitstheorie will einem Täter den Erfolg dann nicht zurechnen, wenn dieser auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters eingetreten wäre. Zum Nachweis reichen konkrete Umstände aus, die es jedenfalls als möglich erscheinen lassen, dass der Erfolg auch unabhängig von der Pflichtwidrigkeit eingetreten wäre. Der strafrechtlich missbilligte Erfolg muss nämlich gerade auf der Sorgfaltspflichtverletzung beruhen. Dies ist dann der Fall, wenn der Erfolg bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Da es sich bei dem Zusammenhang von Pflichtwidrigkeit und Erfolg um eine haftungsbegründende Voraussetzung handelt, muss hier der Grundsatz in dubio pro reo gelten. Toni bliebe hier im Ergebnis also dann straflos, wenn er jedenfalls die Möglichkeit glaubhaft darlegt, dass der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Zwar wird gegen diese Ansicht vorgebracht, dass sie die Strafbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten zu sehr einschränke, da sich die Möglichkeit des Erfolgseintritts auch bei pflichtgemäßem Verhalten oft nicht ausschließen lasse. Dagegen lässt sich wiederum einwenden, dass der mutmaßliche Täter den Eintritt des Erfolges trotz pflichtgemäßem Alternativverhalten zumindest glaubhaft machen muss. Folgt man dieser Ansicht, die auch durch die Rechtsprechung vertreten wird, hat sich Toni mangels Pflichtwidrigkeitszusammenhanges nicht wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht. Sofern der Tatbestand, insbesondere der Pflichtwidrigkeitszusammenhang, bejaht wird, müssten die restlichen Prüfungspunkte, insbesondere auch Rechtswidrigkeit und Schuld angenommen werden. Toni hätte sich dann gem. 222 StGB strafbar gemacht.
6 B. Strafbarkeit Tonis gemäß 315c I Nr. 1 a, III StGB Toni könnte sich dadurch, dass er in betrunkenem Zustand Auto fuhr und dabei Otto tödlich verletzte, wegen einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung gemäß 315c I Nr. 1 a, III StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Dies setzt zunächst voraus, dass Toni eine Tathandlung i.s.d. 315c I StGB begangen hat. 1. Fahren trotz Fahruntüchtigkeit In Betracht kommt die Tathandlung des 315c I Nr. 1 a StGB. Toni müsste ein Fahrzeug geführt haben, obwohl er dazu infolge seiner Alkoholisierung nicht in der Lage war. Toni ist gefahren und hatte dabei eine BAK von 2,0 und war daher absolut fahruntauglich (Grenze bei 1,1 ). 2. Gefahrverursachung Fraglich ist, ob er dadurch die konkrete Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen hervorgerufen hat. Dafür könnte sprechen, dass er Otto tatsächlich überfahren und damit auch zuvor gefährdet hat. Allerdings ist auch bei 315c I StGB ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang (hier: gefahrspezifischer Zusammenhang) zwischen trunkenheitsbedingter Fahrunsicherheit und Gefahr erforderlich (vgl. den Gesetzestext: [ ] und dadurch [ ] gefährdet [ ] ), der wiederum dann entfällt, wenn auch ein nüchterner Fahrer auf das Verhalten des Opfers nicht in der Weise reagieren konnte, dass dessen Leben oder Gesundheit nicht gefährdet würden. Wie schon oben dargestellt, ist vorliegend gerade nicht erwiesen, dass der Unfall und damit auch die Gefährdung auf Tonis Trunkenheit beruhte. Damit ist zugunsten Tonis anzunehmen, dass es am für 315c I StGB erforderlichen gefahrspezifischen Zusammenhang zwischen Trunkenheit und Gefährdung fehlte.
7 Toni hat sich daher keiner Straßenverkehrsgefährdung gemäß 315c I Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Wenn man auch hier der vertretbaren anderen Ansicht folgt, müsste man weiterprüfen: 2. Subjektiver Tatbestand Toni hatte Vorsatz hinsichtlich des Führens eines Fahrzeugs im fahruntauglichen Zustand, nicht aber hinsichtlich der Gefährdung. Damit handelte er unter den Voraussetzungen des 315c III Nr. 1 StGB. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor. Damit ist Toni gem. 315c I Nr. 1 a, III Nr. 1 StGB strafbar. C. Strafbarkeit Tonis gemäß 316 StGB Toni war aufgrund des Genusses alkoholischer Getränke nicht mehr in der Lage ein Fahrzeug sicher zu führen, da ab 1,1 eine absolute Fahruntauglichkeit unwiderlegbar vermutet wird. Daher hat er sich vorliegend gemäß 316 StGB strafbar gemacht.
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