DAS GEWÖHNLICHE WUNDER

Transkript

1 Jewgeni Schwarz DAS GEWÖHNLICHE WUNDER (Originaltitel: Obyknovennoe èudo) Ein Märchen in drei Akten Aus dem Russischen von Günter Jäniche 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1998 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 PERSONEN Bär König Prinzessin Verwalter Erster Minister Emilia, Hofdame Orintia, Hoffräulein Amanda, Hoffräulein Emil, Schankwirt Jäger Schüler des Jägers Scharfrichter 3

4 Prolog Ein Mann tritt vor den Vorhang und spricht sanft und nachdenklich zu den Zuschauern. Ein gewöhnliches Wunder seltsamer Titel! Wunder sind etwas Ungewöhnliches. Was gewöhnlich ist, kann kein Wunder sein. So rätselhaft ist das gar nicht es geht um die Liebe. Ein junger Mann und ein Mädchen verlieben sich alltäglich. Sie zanken sich auch das kommt vor. Sie sterben fast vor Liebe. Endlich wird ihr Gefühl so stark, daß es wahre Wunder vollbringt, und das ist ebenso wunderbar wie gewöhnlich. Über die Liebe kann man schreiben, Lieder singen, wir aber erzählen von der Liebe ein Märchen. Im Märchen gehören Wunderbares und Gewöhnliches einfach zusammen. Das wird jeder verstehen, der es bereitwillig aufnimmt. Wie in der Kindheit. Es liegt kein versteckter Sinn darin. Wer ein Märchen erzählt, möchte nicht verschlüsseln, er will aus vollem Herzen das sagen, was er denkt. Unter den handelnden Personen unsres Märchens, die dem Gewöhnlichen näherstehen, werden Sie Menschen finden, die einem überall begegnen. Zum Beispiel der König. In ihm erkennen Sie ohne weiteres den typischen Hausdrachen, einen schwächlichen Tyrannen, der es geschickt versteht, seine fixen Ideen mit prinzipiellen Erwägungen zu erklären. Oder mit Herzmuskeldystrophie. Oder mit Psychasthenie. Manchmal auch mit Vererbung. In unserm Märchen ist er König, damit seine Eigenschaften sich voll entfalten können. Auch den Verwalter werden Sie kennenlernen. Eine üble Krämerseele! Dann den verdienten Jäger. Und andre mehr. Die Helden des Märchens aber, die dem Wunder näherstehen, tragen nicht die Züge unsrer Zeit. Das gilt für den und seine Frau, für die Prinzessin und den Bären. Wie sich so verschiedenartige Charaktere in einem Märchen vertragen? Ganz einfach: Wie im Leben. Einfach beginnt auch unser Märchen. Ein hat geheiratet, ist danach gesetzter geworden und kümmert sich um Haus und Hof. Nur einen kann man bemuttern, wie man will immer wird es ihn zurückziehen zu Wundern, zu Verwandlungen und seltsamen Abenteuern. Und so mischt er sich in die Liebesgeschichte eben jener jungen Leute ein, von denen ich anfangs sprach. Alles verwirrt sich, verwirrt sich nochmals und entwirrt sich schließlich so unerwartet, daß selbst der, der doch an Wunder gewöhnt ist, vor Staunen die Hände zusammenschlägt. Ob das Ganze für die Verliebten gut oder schlecht ausgeht, das erfahren Sie am Ende des Märchens. (Verschwindet.) 5

5 ERSTER AKT Gehöft in den Karpaten. Ein großes, vor Reinlichkeit blitzendes Zimmer. Auf der Feuerstelle eine funkelnde, kupferne Kaffeekanne. Ein bärtiger Mann, von riesigem Wuchs, breit in den Schultern, kehrt den Fußboden und führt laute Selbstgespräche. Das ist der des Gehöfts. So! So ist es richtig! Ich arbeite und arbeite, wie es sich für einen Hofbesitzer gehört, jeder, der hereinschaut, lobt mich, bei mir ist alles wie bei den Menschen. Ich röhre nicht, ich poltere nicht, und ich purzle nicht herum wie ein wildes Tier. Der eines vortrefflichen Berghofes darf doch nicht brüllen wie ein Auerochs, nein, nein! Ich wirtschafte ohne übertriebene Streiche Ach! (Lauscht, bedeckt sein Gesicht mit den Händen.) Sie kommt! Sie! Sie ist es! Das sind ihre Schritte Fünfzehn Jahre bin ich verheiratet und noch immer in meine Frau verliebt wie ein Schulbub. Ehrenwort, genauso ist es! Sie kommt! Sie! (Kichert verschämt.) So was Törichtes, mir schlägt das Herz, daß es richtig weh tut Guten Tag, Frau! (Die tritt ein, eine noch junge, sehr anziehende Frau.) Guten Tag, guten Tag! Wie lange ist es her, daß wir uns getrennt haben, ein Stündchen höchstens, aber ich freue mich über dich, als hätten wir uns ein Jahr lang nicht gesehen, so sehr liebe ich dich (Erschrickt.) Was ist los mit dir? Wer hat es gewagt, dich zu kränken? Du. Ist es die Möglichkeit! Ach, ich grober Klotz. Die arme Frau, traurig steht sie da und schüttelt den Kopf Wenn das kein Unglück ist! Was habe ich Scheusal wieder verbrochen? Denke nach. Als ob ich jetzt nachdenken könnte Sag mirs, quäl mich nicht. Was hast du heute morgen im Hühnerstall angestellt? (Lacht laut.) Das habe ich doch aus Liebe getan. Für so eine Liebe bedanke ich mich. Ich mache den Hühnerstall auf, und plötzlich du liebe Güte! Alle meine Küken haben vier Beinchen 6

6 Wieso kränkt dich das? Die Glucke hat einen Schnurrbart. Wie ein Dragoner. Hahaha! Wer hat versprochen, sich zu bessern? Wer hat versprochen, zu leben wie alle andern? Aber Liebste, aber Liebling, so verzeih mir doch! Ich kann nichts dafür Ich bin nun mal ein. Das ist keine Entschuldigung. Der Morgen strahlte heiter, der Himmel ganz klar, und so schön wars, daß ich nicht wußte, wohin mit meiner Kraft. Da packte mich der Übermut. Hättest du wenigstens was Nützliches für den Haushalt gezaubert. Der Sand wurde geliefert, mit dem die Wege gestreut werden. Hättest du den in Zucker verwandelt. So was macht doch keinen Spaß! Oder hättest du die Mühlsteine hinterm Schuppen in Käse verwandelt. Reizlos. Was soll ich bloß mit dir anfangen? Ich kann mir noch so große Mühe geben, du bist und bleibst der wilde Jäger, der Bergzauberer, der verrückte Rauschebart! Ich gebe mir ja Mühe! Alles geht seinen Gang, wie es sich gehört, und plötzlich ffft! Donner, Blitz, Wunder, Verwandlungen, Märchen, Phantasien Ich Arme (Küßt ihn.) Nun geh schon, Liebster! Wohin? In den Hühnerstall. Wozu? 7

7 Mach ungeschehen, was du angerichtet hast. Das kann ich nicht! Ach, bitte! Ich kann es nicht. Du weißt doch, wies zugeht in der Welt. Manchmal treibst du Schabernack und machst hinterher alles wieder gut. Ein andres Mal klick! und kein Weg führt zurück! Ich habe die Küken schon mit dem Zauberstöckchen bearbeitet, in den Wirbelwind gehalten und siebenmal mit Blitzen geschockt alles vergebens! Sie werden so bleiben müssen. Meinetwegen, ich finde mich damit ab Die Glucke wird jeden Tag rasiert, und die Küken schaue ich nicht so genau an. Jetzt aber die Hauptsache. Wen erwartest du? Niemanden. Sieh mir in die Augen. Bitte. Raus mit der Sprache, was steht bevor? Was für Gäste werden wir heute empfangen? Menschen? Oder kommen wieder Gespenster zu dir würfeln? Genier dich nicht, rede. Sollte der Geist der jungen Nonne erscheinen, freue ich mich sogar. Sie hat versprochen, mir aus jener Welt einen Blusenschnitt mit weiten Ärmeln mitzubringen: Diese Fasson trug man vor dreihundert Jahren, und jetzt ist sie wieder modern. Kommt die Nonne? Nein. Schade. Also kommt niemand? Nein? Du denkst doch nicht etwa, du könntest deiner Frau die Wahrheit verschweigen? Eher machst du dir selber etwas vor, ehe du mich hinters Licht führst. Da, deine Ohren werden rot, und aus den Augen sprühen Funken. Das ist nicht wahr! Wo denn? Da, siehst du? Sie blitzen richtig. Sei nicht so schüchtern, gesteh schon. Nun? Sag es! 8

8 Na schön! Ja, heute kommen Gäste. Nimms mir nicht übel, du weißt, wie sehr ich mir Mühe gebe. Ein richtiger Stubenhocker bin ich geworden. Aber mein Herz verlangt nun mal danach nach ein bißchen Zauberei. Sei nicht böse. Ich wußte, wen ich heirate. Und ob, und ob wir Gäste kriegen! Und zwar gleich, jetzt gleich! Zieh schnell deinen Kragen gerade, und knöpf dir die Ärmel zu. (Lacht.) Hörst du es? Hörst du? Ein Reiter. (Hufeklappern kommt näher.) Er ist es, er ist es! Wer? Ein Jüngling, mit dem wir bald erstaunliche Dinge erleben werden. Wie ich mich darauf freue! Zu schön! Ist das ein richtiger Jüngling? Ja, ja. Das trifft sich gut, eben fängt mein Kaffeewasser an zu kochen. (Klopfen an der Tür.) Komm rein, komm rein, wir warten schon lange! Ich freue mich ja so sehr! (Der Bär tritt ein. Er trägt erlesene Kleider, ist bescheiden, natürlich und nachdenklich. Schweigend verneigt er sich vorm und dessen Frau.) (Umarmt ihn.) Willkommen, willkommen, mein Sohn! Bär Setzen Sie sich, bitte. Trinken Sie einen Kaffee. Wie heißen Sie, mein Junge? Bär. Wie bitte? 9